Zur Lage der Mei­nungs­frei­heit in Ägypten

Fort­set­zung

Es gibt keine freie Presse mehr, aber viele Journalist*innen geben nicht auf

Journalist*innen von Mada Masr bei der Arbeit in ihrem Büro in Kairo, 2015.

Infor­ma­tio­nen zu den will­kür­li­chen Ver­haf­tun­gen sind in den offi­zi­el­len Pres­se­or­ga­nen nicht zu fin­den. Die unab­hän­gige Nach­rich­ten­web­site al-Manassa wurde am 24. Juni 2020 von Sicher­heits­kräf­ten gestürmt und ihre Chef­re­dak­teu­rin vor­über­ge­hend fest­ge­setzt. Im April schal­te­ten die Behör­den die Nach­rich­ten­seite Darb ab. Hun­derte Web­sites sind inzwi­schen ver­bo­ten bzw. bei ägyp­ti­schen Pro­vi­dern blo­ckiert. Ebenso erging es 2017 der unab­hän­gi­gen eng­lisch– und ara­bisch­spra­chi­gen Inter­net­zei­tung Mada Masr. Sie wurde von Jour­na­lis­tin­nen gegrün­det, als 2013 deren Zei­tung Egypt Inde­pen­dent schlie­ßen musste. Mit gro­ßem Auf­wand, um z.B. die Finan­zie­rung zu sichern, star­te­ten die enga­gier­ten Frauen ihr Pro­jekt. Im Novem­ber 2019 wur­den die Redak­ti­ons­räume einer Raz­zia unter­zo­gen, ver­mut­lich weil die Chef­re­dak­teu­rin Linah Attalah zuvor einen kri­ti­schen Arti­kel über den Sohn des Prä­si­den­ten geschrie­ben hatte, der damals dem Geheim­dienst ange­hört haben soll. Der Raz­zia folgte die größte Ver­haf­tungs­welle seit Prä­si­dent al-Sisi 2014 offi­zi­ell an die Macht gekom­men war. Linah Attalah wurde mehr­fach ver­haf­tet, doch die Gruppe Mada Masr, inzwi­schen aus Frauen und Män­nern beste­hend, gibt nicht auf. Auf Face­book, Ins­ta­gram und Twit­ter errei­chen sie ihre Leser*innen und ver­sor­gen sie mit den neu­es­ten Nachrichten.

Frei­heit für Sanaa Seif

Sanaa Seif

Über 200 pro­mi­nente Schauspieler*innen, Filmemacher*innen und Schriftsteller*innen for­der­ten die sofor­tige Frei­las­sung von Sanaa Seif. Die Auto­rin, Akti­vis­tin und Fil­me­di­to­rin wurde ver­schleppt und inhaf­tiert. Sie ist unter ande­rem bekannt durch ihre Arbeit an dem Oscar-nominierten Film „The Square“ und dem preis­ge­krön­ten Film „In the Last Days of the City“.

Was war geschehen?

Sanaa war­tete im Juni 2020 zusam­men mit ihrer Mut­ter und ihrer Schwes­ter vor dem Tora-Gefängnis in Kairo, um einen Brief ihres Bru­ders Alaa Abd el-Fattah zu erhal­ten, der dort seit Sep­tem­ber 2019 inhaf­tiert war. Alaa ist eine der pro­mi­nen­tes­ten und unab­hän­gigs­ten Stim­men der Revo­lu­tion von 2011. Die drei Frauen wur­den von einem Mob unter den Augen der Poli­zei ange­grif­fen, bestoh­len und ver­letzt. Die anwe­sen­den Poli­zis­ten grif­fen nicht nur nicht ein, son­dern feu­er­ten den Mob auch noch zu wei­te­ren Angrif­fen an. Am nächs­ten Tag, als die Frauen Anzeige erstat­ten woll­ten, wurde Sanaa von Poli­zis­ten in Zivil in einen nicht gekenn­zeich­ne­ten Mini­bus gezerrt und zur Obers­ten Staats­an­walt­schaft für Staats­si­cher­heit in Ägyp­ten gebracht. Diese ist berüch­tigt dafür, poli­ti­sche Geg­ner– und Kritiker*innen wegen unbe­grün­de­ter „Terrorismus“-Anklagen in ver­län­ger­ter Unter­su­chungs­haft zu hal­ten. Sanaa wurde inhaf­tiert. Die Vor­würfe: „Ver­brei­tung fal­scher Nach­rich­ten“, „Anstif­tung zu ter­ro­ris­ti­schen Ver­bre­chen“ und „Miss­brauch sozia­ler Medien“. Im März 2021 wurde sie zu andert­halb Jah­ren Gefäng­nis verurteilt.

Alaa Abd el-Fattah, der Bru­der von Sanaa Seif — eine Ikone der Protestbewegung

Alaa Abd el-Fattah

Dem inhaf­tier­ten Blog­ger und Akti­vis­ten Alaa Abd el-Fattah wurde im April 2022 die bri­ti­sche Staats­bür­ger­schaft zuer­kannt. 2019 bean­trag­ten Alaa und seine Schwes­tern Mona und Sanaa Seif die bri­ti­sche Staats­bür­ger­schaft über ihre Mut­ter Laila Seif, die im Mai 1965 in Lon­don gebo­ren wurde.

Nun for­dert Alaa Abd el-Fattah eine bri­ti­sche Unter­su­chung der Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen in sei­ner Haft und den Zugang von bri­ti­schen Konsulatsbeamt*innen zum Gefäng­nis. Alaa war seit 2013 mehr­fach in Haft. Er wurde ohne Gerichts­ver­fah­ren zwei Jahre lang in Unter­su­chungs­haft gehal­ten, die gesetz­lich zuläs­sige Höchst­dauer nur für die schwers­ten Ver­bre­chen. 2019 wurde er in einer Poli­zei­sta­tion in Gizeh fest­ge­nom­men, wo er im Rah­men einer Bewäh­rungs­maß­nahme jeden Abend in einer Zelle ver­brin­gen musste. Die Ver­haf­tung erfolgte mut­maß­lich wegen der Ver­brei­tung einer Nach­richt über die Fol­te­rung und den Tod eines Mit­ge­fan­ge­nen. Eine Urteils­be­grün­dung gibt es nicht, die Ver­tei­di­gung wurde nicht gehört und eine Beru­fung ist nicht mög­lich. „Bei sei­ner Ankunft im Tora-Gefängnis wurde er aus­ge­zo­gen, ihm wur­den die Augen ver­bun­den, er wurde geschla­gen und bedroht“. Seit 2019 sei er „in einer Zelle ohne Son­nen­licht, ohne Bücher, ohne Bewe­gung fest­ge­hal­ten wor­den“, teilte die Fami­lie dem Nach­rich­ten­por­tal Mada Masr mit (Arti­kel vom 11. April 2022). Seit Beginn des Rama­dan befin­det sich Alaa im Hun­ger­streik, um sei­nen For­de­run­gen Nach­druck zu verleihen.

Neu­este Nachrichten

Die unab­hän­gige eng­lisch– und ara­bisch­spra­chige Internet-Zeitung Mada Masr schreibt am 10. April 2022:

Wirt­schafts­for­scher Ayman Had­houd in der Haft gestorben

Ayman Had­houd

Der Wirt­schafts­for­scher Ayman Had­houd ver­schwand, seit dem 5. Februar wurde er ver­misst. Einen Monat nach sei­nem Tod in der Haft­an­stalt der staat­li­chen psych­ia­tri­schen Kli­nik von Abbas­seya wurde seine Fami­lie infor­miert, dass er aus unge­klär­ten Grün­den ver­stor­ben sei.

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Mada Masr, 21. April 2022:

Bau eines Gefäng­nis­kom­ple­xes im Sinai für bis zu 20 000 Häftlinge

Bereits min­des­tens 16 neue Gefäng­nisse wur­den in der Sisi-Ära gebaut. Ist der Bedarf immer noch nicht gedeckt?

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Mada Masr, 24. April:

Sechs poli­ti­sche Häft­linge wur­den frei­ge­las­sen, wei­tere Frei­las­sun­gen sol­len folgen

Am Tag der Freilassung

Min­des­tens sechs poli­ti­sche Häft­linge, die jah­re­lang ohne Gerichts­ver­fah­ren oder Ermitt­lun­gen inhaf­tiert waren, wur­den am Sonn­tag auf Anord­nung der Staats­an­walt­schaft frei­ge­las­sen. Ein Mit­glied des Natio­nal­rats für Men­schen­rechte berich­tete, dass wei­tere 41 poli­ti­sche Gefan­gene frei­ge­las­sen wer­den sollen.

Die Men­schen­rechts­si­tua­tion in Ägyp­ten wurde nach dem auf­se­hen­er­re­gen­den Tod des Wirt­schafts­for­schers Ayman Had­houd und dem Hun­ger­streik von eini­gen poli­ti­schen Gefan­ge­nen in den letz­ten Wochen von den USA ver­stärkt unter die Lupe genom­men. Die US-Regierung hat kon­se­quent einen klei­nen Teil ihrer jähr­li­chen Ver­tei­di­gungs­zu­sa­gen (1,3 Mil­li­ar­den Dol­lar) ein­be­hal­ten, 2021 waren dies 130 Mil­lio­nen US-Dollar. Sie sol­len erst aus­ge­zahlt wer­den, wenn recht­li­che Unter­su­chun­gen gegen Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen und die Ankla­gen gegen 16 Per­so­nen fal­len gelas­sen wer­den. Den­noch geneh­migte die US-Regierung Anfang die­ses Jah­res einen Waf­fen­ver­kauf im Wert von 2,5 Mil­li­ar­den Dollar.

Deutsch­land­funk, Januar 2022:

Die Bun­des­re­gie­rung geneh­migt im Jahr 2021 Rüs­tungs­ex­porte nach Ägyp­ten im Wert von mehr als vier Mil­li­ar­den Euro

Ägyp­ten liegt nun auf Platz zwei deut­scher Rüs­tungs­ex­porte. Dass ein deut­scher Regie­rungs­spre­cher kürz­lich erklärte, die Men­schen­rechts­lage sei noch ver­bes­se­rungs­wür­dig, dürfte Sisi eher wenig beein­dru­cken, meint Mar­kus Bickel von Amnesty International.

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Linah Attalah, Chefredakteurin von Mada Masra
Linah Attalah, Chef­re­dak­teu­rin von Mada Masra

 

Verleihung des Free Media Pioneer Awards an Mada Masr
Ver­lei­hung des Free Media Pioneer Awards an Mada Masr

 

Protest von Journalist*innen gegen die Razzia bei Mada Masr, 2019
Pro­test von Journalist*innen gegen die Raz­zia bei Mada Masr, 2019

 

Protest in Kairo gegen die Regierung al-Sisi, September 2019
Pro­test in Kairo gegen die Regie­rung al-Sisi, Sep­tem­ber 2019

 

Protest gegen al-Sisi, September 2019
Pro­test gegen al-Sisi, Sep­tem­ber 2019

 

Der Kampf für Menschenrechte in Ägypten – er hat im Januar 2022 eine wichtige Stütze verloren. Das bekannte "Arabische Netzwerk für Menschenrechte" (Arabic Network for Human Rights, ANHRI) hat seine Arbeit offiziell eingestellt mit der Begründung, dass nicht mal mehr ein Minimum an Rechtsstaatlichkeit und Respekt für Menschenrechte in Ägypten vorhanden sei.
Der Kampf für Men­schen­rechte in Ägyp­ten – er hat im Januar 2022 eine wich­tige Stütze ver­lo­ren. Das bekannte “Ara­bi­sche Netz­werk für Men­schen­rechte” (Ara­bic Net­work for Human Rights, ANHRI) hat seine Arbeit offi­zi­ell ein­ge­stellt mit der Begrün­dung, dass nicht mal mehr ein Mini­mum an Rechts­staat­lich­keit und Respekt für Men­schen­rechte in Ägyp­ten vor­han­den sei.

Sicherheitskräfte patrouillieren auf dem gesperrten Tahrir-Platz, eine Woche nach den Demonstrationen im September 2019
Sicher­heits­kräfte patrouil­lie­ren auf dem gesperr­ten Tahrir-Platz, eine Woche nach den Demons­tra­tio­nen im Sep­tem­ber 2019

15. Februar 2022: Sechs NGOs forderten Belgien und die EU auf, al-Sisi keinen roten Teppich auszurollen.
15. Februar 2022: Sechs NGOs for­der­ten Bel­gien und die EU auf, al-Sisi kei­nen roten Tep­pich auszurollen.

Im Juni 2021 hat das Berufungsgericht in Kairo zwölf Todesurteile bestätigt. Sechs der Verurteilten waren zur Tatzeit nachweislich in Haft.
Im Juni 2021 hat das Beru­fungs­ge­richt in Kairo zwölf Todes­ur­teile bestä­tigt. Sechs der Ver­ur­teil­ten waren zur Tat­zeit nach­weis­lich in Haft.