Van­da­lis­mus gegen das Horváth-Zentrum und den His­to­ri­schen Lehr­pfad rund um die ehem. KZ-Außenstelle Walldorf

Der His­to­ri­sche Lehr­pfad rund um das ehe­ma­lige Gelände der KZ-Außenstelle Wall­dorf wurde im Novem­ber 2000 im Bei­sein von 19 Über­le­ben­den des Lagers und ihren Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen eingeweiht.

Junge Men­schen, dar­un­ter auch einige Enke­lin­nen und Enkel von Über­le­ben­den leg­ten in den fol­gen­den Jah­ren Kel­ler­räume frei, in denen die SS 1944 die Inhaf­tier­ten schwer prü­gel­ten, nach­weis­lich eine davon, die Pia­nis­tin Elza Böhm, bis zum Tode. Über den frei­ge­leg­ten Kel­ler­räu­men wurde im Sep­tem­ber 2016 das Horváth-Zentrum als Gedenk– und Bil­dungs­stätte eingeweiht.

Es gibt eine große Aner­ken­nung und Acht­sam­keit der Horváth-Zentrum gegen­über, den­noch gibt es auch hier Akte der Aggres­sion, der Zer­stö­rung und des Van­da­lis­mus. In den letz­ten Jah­ren neh­men diese auch gegen die Tafeln des His­to­ri­schen Lehr­pfa­des deut­lich zu.

Bitte ach­ten Sie mit uns auf diese Ein­rich­tun­gen und rufen an, wenn Ihnen Ver­däch­ti­ges oder eine neue Form der Zer­stö­rung auffällt:

Vertreter*innen der Stif­tung errei­chen Sie unter: 06105/406.33.77

oder die ört­li­che Poli­zei unter: 06105/400.60

Was geschah in den letz­ten bei­den Jahren?

2. Februar 2018: Glas­schei­ben des Horváth-Zentrums wer­den zer­stört. Die Täter schmis­sen Steine und ziel­ten mit der Mut­ter einer gro­ßen Schraube auf Fotos und Texte.

Ein Stein wurde auf das Foto von Szi­do­nia Rosen­berg gewor­fen; rechts im Bild schaut ihre Freun­din Betty, die gemein­sam mit ihren bei­den Schwes­tern 1944 eben­falls in der KZ-Außenstelle Wall­dorf inhaf­tiert war.

Mit einer Zwille wurde die Mut­ter einer gro­ßen Schraube abge­schos­sen und damit genau das Wort “Depor­ta­tio­nen” zer­stört. — Der Pas­sage heißt voll­stän­dig: Die Deut­sche Wehr­macht besetzte am 19. März 1944 Ungarn. Zwi­schen dem 14. Mai und 9. Juli 1944 wur­den 500.000 unga­ri­sche Juden nach Auschwitz-Birkenau depor­tiert. Die Depor­ta­tio­nen began­nen im Osten — auch in Gebie­ten, die heute nicht mehr zu Ungarn gehören …

Am 10. Februar fand dazu vor Ort eine Pro­test­ver­an­stal­tung mit Jugend­li­chen und der Holocaust-Überlebenden Edith Erbrich statt.

Auch nach der Reno­vie­rung der Schei­ben erin­nert
diese Tafel wei­ter­hin an das, was hier geschah.
Aus: Freitags-Anzeiger vom 15. Februar 2018



Zer­stö­run­gen der Tafeln des His­to­ri­schen Lehrpfades

Juni 2020:

Meh­rere Tafeln des His­to­ri­schen Lehr­pfa­des der ehem. KZ-Außenstelle Wall­dorf wur­den Ende Juni 2020 abge­ris­sen, zer­stört oder ihre Ver­an­ke­rung aus dem Boden gerissen.

Fünf der 18 Tafeln des His­to­ri­schen Lehr­pfa­des wur­den in der Nacht von Sonn­tag auf Mon­tag 28./29. Juni 2020 bra­chial zer­stört. Die Stadt Mörfelden-Walldorf lud daher am Sonn­tag, dem 5. Juli, zu einer Ver­an­stal­tung am Horváth-Zentrum ein.

Ca. 250 Bür­ge­rin­nen und Bür­ger, dar­un­ter zahl­rei­che Vertreter*innen regio­na­ler Grup­pen, Ver­eine und Ver­tre­ter aller Frak­tio­nen des Stadt­par­la­men­tes nah­men teil und beton­ten damit ihre deut­li­che Kri­tik an die­ser Form des erneu­ten Van­da­lis­mus gegen Ein­rich­tun­gen der Bil­dungs­ar­beit und des Geden­kens an den Holocaust.

Bür­ger­meis­ter Tho­mas Wink­ler begrüßte die Anwe­sen­den mit den Wor­ten: „Die Stadt Mörfelden-Walldorf ist erschüt­tert, dass es zu einer sol­chen Zer­stö­rung gekom­men ist. Noch dazu an einem Ort, der ein Höchst­maß an Respekt, Ach­tung und Geschichts­be­wusst­sein ver­langt … Eine poli­zei­li­che Straf­an­zeige ist selbst­ver­ständ­lich gestellt Die Stadt ruft aber auch alle Bür­ge­rin­nen und Bür­ger dazu auf, wach­sam zu sein und zu infor­mie­ren, wenn im Kon­text des Lehr­pfa­des irgend­eine Form von Van­da­lis­mus oder auch Respekt­lo­sig­keit auffällt …“

Der Blick aus dem Horváth-Zentrum auf die große Menge der Teilnehmer*innen der Pro­test­ver­an­stal­tung am 5. Juli 2020.


Bür­ger­meis­ter Wink­ler: “Man muss von einem poli­ti­schen Hin­ter­grund die­ser Tat aus­ge­hen, gerade vor dem Hin­ter­grund der aktu­el­len gesell­schaft­li­chen Situa­tion … Die Stadt Mörfelden-Walldorf wird sich mit dem Thema beschäf­ti­gen und erneut deut­li­che Zei­chen set­zen.”












Muse­ums­lei­te­rin Clau­dia Bat­ti­stella: “Unsere Grund­hal­tung ist klar. Wer die Tafeln beschä­digt, beschä­digt nicht nur die Würde der Frauen und Mäd­chen, die damals in dem Lager inhaf­tiert waren, son­dern auch unsere demo­kra­tischen Grund­werte.”
Clau­dia Bat­ti­stella sprach im Vor­hin­ein einige junge Leute an, die der Arbeit der Horváth-Stiftung und des Muse­ums nahe­ste­hen. Sie berei­te­ten fünf State­ments vor — jeweils sym­bo­lisch für eine der zer­stör­ten Tafeln des His­to­ri­schen Lehrpfades. 
Madiha

Die Abitu­ri­en­tin Madiha sagte:

„Wir sehen auch heute Unge­rech­tig­kei­ten. Wir sehen, wie noch immer unschul­dige Men­schen wegen ihres Glau­bens ver­folgt wer­den, oder ihrer Her­kunft wegen unge­recht und unmensch­lich behan­delt wer­den. Um sol­chen Unge­rech­tig­kei­ten ent­ge­gen­zu­wir­ken ist es enorm wich­tig zu zei­gen, dass dies nicht okay ist. Des­we­gen haben wir heute hier zusam­men­ge­fun­den, um ein deut­li­ches Zei­chen zu set­zen, dass es nicht sein darf, dass Tafeln eines sol­chen Lehr­pfa­des beschä­digt wer­den. Damit zei­gen wir, dass ein sol­ches Ver­hal­ten nicht gedul­det wer­den darf.

Lea
Lea

Die Stu­den­tin Lea sagte:

„Auf die­ser Tafel berich­te­ten Über­le­bende davon, wie es war, in einem Zelt im KZ Ravens­brück kau­ern zu müs­sen, und davon, was es mit einem macht, am nächs­ten Mor­gen die Kör­per der Ver­stor­be­nen hin­aus­tra­gen zu müssen.

Was für ein Mensch ist es, der mut­wil­lig diese Tafel zer­störte. Wie viel Wut und viel­leicht auch Hass braucht es, um solch ein Stück der Erin­ne­rung aus dem Boden zu rei­ßen? Fünf die­ser Tafeln zu zer­stö­ren, ist kein schlich­ter Akt des Van­da­lis­mus. Eine sol­che Tat zielt dar­auf ab, die schwe­ren Teile der deut­schen Geschichte unter­gra­ben oder ein­fach aus­ra­die­ren zu wollen.“

Bei­trag in der Frank­fur­ter Neuen Presse vom 7. Juli 2020

Juni 2018

Nur mit einem Brand­be­schleu­ni­ger ist es mög­lich, eine dicke Ple­xi­glas­scheibe so voll­stän­dig zu verbrennen..

Die Tafel 14 des His­to­ri­schen Lehr­pfa­des, der seit Novem­ber 2000 rund um das Gelände der ehe­ma­li­gen KZ-Außenstelle Wall­dorf führt, wurde am 10. Juni 2018 vor­sätz­lich abgebrannt.

Schwer­punkt der Tafel ist die­ses Zitat:

“Ich glaube es nicht, aber ich ging da durch. Aber ich war dort. In Bergen-Belsen. Dort lagen die Kör­per an der Straße — so hilf mir lie­ber G“tt — nackte Män­ner, die sich von einem Platz zu einem ande­ren schlepp­ten. Ich sah nie­mals zuvor nackte Män­ner. — Ich war noch so jung.

Und unsere Arbeit war es, Grä­ber mit toten Frauen zu füllen …”

Um ein Zei­chen zu set­zen gegen die­sen anti­se­mi­ti­schen Van­da­lis­mus ver­sam­mel­ten sich am 21. Juni 2018 enga­gierte Mit­bür­ge­rin­nen und Mit­bür­ger sowie Schüler*innen aus Ecua­dor, die sich mit den Leh­rern ihrer Part­ner­schule in Drei­eich (Ricarda-Huch-Schule) am Vor­mit­tag über die Geschichte der KZ-Außenstelle infor­miert hat­ten, zu einer Pro­test­ver­an­stal­tung, bei der ver­schie­dene Mit­glie­der der Stif­tung, ver­schie­dene Geschichts­leh­rer der Bertha-von-Suttner-Schule (Drei­eich) und der Ricarda-Huch-Schule und natür­lich auch einige Jugend­li­che sprachen.

Bir­git Schül­ler, Mit­glied der Stif­tung, sagt in ihrerm Ein­gangs­state­ment: „Ich wün­sche und erwarte, dass die Ver­tre­ter aller Par­teien unse­rer Stadt laut und öffent­lich Stel­lung beziehen.“

Empört und trau­rig über eine sol­che Tat hören sie den ver­schie­de­nen Rede­bei­trä­gen zu.

Zwei Schü­ler aus Quito beton­ten die so wich­tige Auf­ar­bei­tung und Ver­mitt­lung von Geschichte Sie ent­hül­len nun die neue Zusatztafel.

Die­ses Schild stell­ten Lehrer*innen, Schüler*innen und Mit­glie­der der Stif­tung nun in unmit­tel­bare Nähe zu der am 10. Juni 2018 in Brand gesetz­ten Tafel.

Die Dreieich-Zeitung schreibt dazu am 4. Juli 2018

Inter­view mit der Vor­sit­zen­den der Stiftung

Die zer­störte Glas­scheibe mit dem Foto von Szi­do­nia Rosen­berg und ihren Freun­din­nen, die drei Schwes­tern Betty, Elvira und Mar­git Pol­lák. Bet­tys Enkel Kevin war einer der Jugend­li­chen, die den Küchen­kel­ler drei Wochen in sei­nen Ferien mit aus­ge­gra­ben und frei­ge­legt hat.

 

Der Blick durch die Zer­stö­rung in die Natur.
Februar 2018

 

 

Edith Erbrich beschreibt den Jugend­li­chen, was ihr in der NS-Zeit geschah. Ihr Vater war Jude, die Mut­ter nicht.
Am 14. Februar 1945 wurde die damals sie­ben­jäh­rige Edith mit ihrer Schwes­ter und dem Vater in einem der letz­ten Trans­porte von Frank­furt nach The­re­si­en­stadt depor­tiert. Die Mut­ter stand damals vor dem Güter­wag­gon. Ihr wurde die Mit­fahrt ver­wei­gert. Die wei­tere Depor­ta­tion — von The­re­si­en­stadt nach
Ausch­witz — war bereits auf den 9. Mai fest­ge­legt. Doch glück­li­cher­weise befreite die sowje­ti­sche Armee in der Nacht zum 8. Mai 1945 das Lager The­re­si­en­stadt.
Vater und Töch­ter haben überlebt.

 

Edith Erbrich im Gespräch mit den Jugend­li­chen, für die die­ser Tag eine Vor­be­rei­tung auf ihre eigene Jugend­weihe ist.
Februar 2018

 

 

 

 

Gleich­zei­tig wurde die Tafel 14 am alten Stand­ort wie­der neu auf­ge­stellt.
Beschrie­ben wird auf die­ser Tafel, wie zer­stört viele der jun­gen KZ-Häftlinge am Ende des Krie­ges, am Tage der Befrei­ung waren. “Ich meine, wir waren im Inne­ren wie tot …” sagt die damals 16-jährige Szi­dó­nia Rosenberg.

 

 

 

Es war mutig von der 15-jährigen Schü­le­rin aus Quito, dass sie bei die­ser Ver­an­stal­tung  spon­ta­nihre Grund­hal­tung öffent­lich for­mu­lierte. Dies war ihr aber — trotz der eige­nen Scheu — ein gro­ßes Anliegen.

 

 

Dreieich-Zeitung vom 4. Juli 2018