Zur Bio­gra­fie von Mar­git Horváth

Mar­git Hor­váth steht als Namens­ge­be­rin der Stif­tung stell­ver­tre­tend für die 1.700 hier ehe­mals inhaf­tier­ten jun­gen unga­ri­schen Jüdinnen.

Bürgermeister Bernhard Brehl bei der offiziellen Einweihung des Gedenksteines, März 1980.
Bür­ger­meis­ter Bern­hard Brehl bei der offi­zi­el­len Ein­wei­hung des Gedenk­stei­nes, März 1980.

Sie war von August bis Novem­ber 1944 in der KZ-Außenstelle Wall­dorf inhaf­tiert. Ihre Bereit­schaft, nach Jahr­zehn­ten des Schwei­gens und der

aus­drück­li­chen Dis­tanz zur deut­schen Gesell­schaft, im hohen Alter doch noch zu erzäh­len, sich immer wie­der aufs Neue dem Schmerz der Erin­ne­rung an das unvor­stell­bare Grauen aus­zu­set­zen, trug ent­schei­dend dazu bei, dass die Geschichte des Außen­la­gers Wall­dorf so detail­liert und bio­gra­phisch dif­fe­ren­ziert auf­ge­ar­bei­tet wer­den konnte. Ihr Han­deln wirkt weit über ihren Tod hinaus.

„Als der Gedenk­stein für die KZ-Außenstelle Wall­dorf 1980 ein­ge­weiht wurde, war ich dabei…

Der Gedenkstein am Gelände des KZ-Außenlagers Walldorf.
Der Gedenk­stein am Gelände des KZ-Außenlagers Walldorf.

Aber ich habe zu nie­man­dem etwas gesagt. Ich konnte nicht dar­über spre­chen. Ich wollte nicht. Mit mei­nem Sohn Gábor bin ich oft hier gewe­sen. Immer wie­der sind wir den Weg ent­lang gelau­fen … Jetzt bin ich alt. Sie fra­gen mich, was damals hier pas­sierte mit mir und all den ande­ren Frauen…? Es ist nun das erste Mal, dass ich erzähle: Ich bin 1911 gebo­ren; meine Fami­lie stammt aus Kolozs­vár in Sie­ben­bür­gen. In mei­ner Kind­heit gehörte es zu Rumä­nien, spä­ter zu Ungarn.

Wir waren sechs Geschwis­ter und hat­ten ein schö­nes Fami­li­en­le­ben. Unser Vater war Rechts­an­walt, ein wohl ange­se­he­ner Mann in der gan­zen Stadt. Wir Kin­der haben alle das Gym­na­sium besucht; wir sind zweisprachig

auf­ge­wach­sen: rumä­nisch und unga­risch. Nach Abschluss der Schule habe ich eine Aus­bil­dung als Gerichts­as­sis­ten­tin gemacht, meine Schwes­ter hatte einen Hut­sa­lon. Als unsere Gegend wie­der zu Ungarn kam, wurde das Leben für uns als jüdi­sche Fami­lie immer schwe­rer. Im März 1944 mar­schier­ten die deut­schen Trup­pen ein. Von da an ging alles sehr schnell: Wir muss­ten den David­stern tra­gen, dann ins Ghetto und wenige Wochen spä­ter waren wir alle in Ausch­witz, die Groß­mut­ter, meine Schwes­tern mit ihren Kin­dern, Onkel, Tanten …

Postkarte Kolozsvár (gesprochen: Koloschwar, zu Deutsch Klausenburg) um 1940.
Post­karte Kolozs­vár (gespro­chen: Kolo­schwar, zu Deutsch Klau­sen­burg) um 1940.
Landkarte mit ehemaligen ungarischen Gebieten Quelle: Chr. Gerlach: Das letzte Kapitel, Deutsche Verlags-Anstalt, 2002, S. 482-483.
Land­karte mit ehe­ma­li­gen unga­ri­schen Gebie­ten Quelle: Chr. Ger­lach: Das letzte Kapi­tel, Deut­sche Verlags-Anstalt, 2002, S. 482–483.

ins­ge­samt waren wir aus unse­rer Fami­lie 74 Per­so­nen. Alle im glei­chen Zug, in die­sen Vieh­wag­gons — Rich­tung Ausch­witz. Mein Vater hatte noch seine Akten­ta­sche dabei mit Refe­ren­zen, Emp­feh­lungs­schrei­ben, ver­schie­de­nen Doku­men­ten und Urkun­den. Er dachte, das würde ihm etwas nut­zen in Ausch­witz. So war er … Aber Sie wis­sen, was dort mit älte­ren Her­ren geschah. Mit mei­ner jün­ge­ren Schwes­ter Irma und mit Tante Jolan kam ich im August 1944 von Ausch­witz hier­her nach Wall­dorf. Wir gehör­ten zu den 1.700 Frauen, die damals auf dem Frank­fur­ter Flug­ha­fen arbei­ten muss­ten. Wir haben viel geweint nach all den Kin­dern, die in Ausch­witz geblie­ben sind. Auch meine ältere Schwes­ter ist dort ver­gast wor­den mit ihren drei klei­nen Kin­dern. Immer wie­der frage ich mich, warum gerade ich über­lebt habe. Dies tun wir alle. Alle Frauen, die über­lebt haben, woll­ten danach vor allem eines: ein Kind zur Welt brin­gen. Bei vie­len ging es nicht mehr. Ich hatte Glück. Ich habe Gábor 1948 gebo­ren. Sein Vater war auch in Ausch­witz gewe­sen. Ihm ging es so wie mir…“

Margit Horváth (geb. 1911) vor dem Rad eines ungarischen Ziehbrunnens um 1930.
Mar­git Hor­váth (1911– 2001) vor dem Rad eines unga­ri­schen Zieh­brun­nens um 1930.
„Das ist meine Familie. Sie sind alle in Auschwitz gestorben - außer einem Verwandten und mir,“ erzählt Margit Horváth (rechts, mit Hut). Hochzeitsgesellschaft, Kolozsvár, 1930.
„Das ist meine Fami­lie. Sie sind alle in Ausch­witz gestor­ben — außer einem Ver­wand­ten und mir,“ erzählt Mar­git Hor­váth (rechts, mit Hut). Hoch­zeits­ge­sell­schaft, Kolozs­vár, 1930.
Der Vater von Margit Horváth ca. 1943.
Der Vater von Mar­git Hor­váth ca. 1943.
Margit Horváth als junge Frau.
Mar­git Hor­váth als junge Frau.
Margit Horváth mit ihrem Sohn Gábor Juni 2000.
Mar­git Hor­váth mit ihrem Sohn Gábor Juni 2000.