Zur Pres­se­frei­heit in Ungarn: „Man darf nicht stumm bleiben!“

Das Ergeb­nis der unga­ri­schen Par­la­ments­wahl im April 2022 zeigt ein­mal mehr die breite Unter­stüt­zung, die Vik­tor Orbán fin­det. Erneut erhielt er eine 2/3-Mehrheit im Par­la­ment. Den­noch ist das Bild nicht so ein­heit­lich, wie man viel­leicht zunächst meint, denn Ungarn ist gespal­ten. Das Land wählte Orbán, die Haupt­stadt Buda­pest aber in fast allen Bezir­ken die Opposition.

Die Margit-Horváth-Stiftung hat ein beson­de­res Auge auf die­ses Land. Die Grün­dung der Stif­tung beruht auf der Recher­che zur Geschichte der KZ-Außenstelle Wall­dorf. 1944 waren in die­sem Lager 1.700 unga­ri­sche Jüdin­nen inhaf­tiert, um für den nahe­ge­le­ge­nen Frank­fur­ter Flug­ha­fen erste Roll­bah­nen zu bauen. Oft sind wir nach Ungarn gefah­ren, um dort in Archi­ven zu recher­chie­ren und mit Über­le­ben­den zu spre­chen. Selbst­ver­ständ­lich beob­ach­ten wir auch die heu­tige Ent­wick­lung des unga­ri­schen Anti­se­mi­tis­mus‘ und die mas­sive Ein­schrän­kung der Presse– und Meinungsfreiheit.

Wie steht es um die Mei­nungs– und Pres­se­frei­heit in Ungarn?

Die Enke­lin einer Über­le­ben­den des Wall­dor­fer Lagers kennt Buda­pest durch ihre vie­len Ver­wand­ten­be­su­che gut. Sie wächst in Frank­reich und Deutsch­land auf, stu­diert zur­zeit in Frank­furt Geschichte und Poli­tik. Ich nenne sie im Fol­gen­den mit dem Namen ihrer Groß­mut­ter: Ágnes. Ágnes sagte kürz­lich zu mir: „Ungarn wird in Deutsch­land immer nur unter dem Aspekt der Herr­schaft des auto­kra­ti­schen Orbán und der Unter­drü­ckung der Mei­nungs­frei­heit dar­ge­stellt. Aber Ungarn ist auch anders; ganz so ist es doch nicht. Es stimmt, auch meine Ver­wandt­schaft liest nur regie­rungs­treue Zei­tun­gen und sieht die ent­spre­chen­den TV-Programme; zum Glück wäh­len sie ihn aber wenigs­tens nicht. Ich mag die­ses Land. Es gibt dort noch so viel mehr als „nur“ Orbán…“  

Der Blick der euro­päi­schen Jour­na­lis­ten und Poli­ti­ker rich­tet sich vor allem auf Minis­ter­prä­si­dent Vik­tor Orbán und die Poli­tik sei­ner Fides­z­par­tei. Im Zen­trum ste­hen Fra­gen der Ver­let­zung von Grund­wer­ten der EU und die Ein­schrän­kung der Mei­nungs­frei­heit. Gleich­zei­tig gibt es wegen die­ser restrik­ti­ven Poli­tik, ins­be­son­dere in Buda­pest, mutige und cou­ra­gierte Men­schen, die sich dage­gen zur Wehr set­zen – zum Bei­spiel ist dies eine Vero­nika Munk und ihr Redak­ti­ons­team vom Nach­rich­ten­por­tal www.telex.hu, frü­her www.index.hu.

Ver­i­nika Munk (Mitte) und das Index Team auf dem Weg die Kün­di­gun­gen abzugeben.

Szabolcs Dull, Chef­re­dak­teur des ein­fluss­rei­chen Nach­rich­ten­por­tals „Index“, wurde im Juli 2020 frist­los ent­las­sen, weil er die Ein­schrän­kung der Mei­nungs­frei­heit durch einen neuen regie­rungs­na­hen Anteils­eig­ner von „index“, zwei neue „unab­hän­gige Bera­ter“ sowie geplante Spar­maß­nah­men und Umstruk­tu­rie­run­gen der Redak­tion öffent­lich kri­ti­siert hatte. „Index ist eine mäch­tige Fes­tung, die sie (Fides­z­par­tei) stür­men wol­len,“  kom­men­tierte dies der geschasste Chef­re­dak­teur Dull. 

Sofort reichte seine dama­lige Stell­ver­tre­te­rin, Vero­nika Munk, ihre eigene Kün­di­gung ein. Wei­tere 80 Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen schlos­sen sich an. Große Pro­teste und Soli­da­ri­täts­kund­ge­bung in der Buda­pes­ter Öffent­lich­keit folgten.

Index“ hatte damals über 1 Mil­lion Leser*innen pro Tag, vor allem jün­gere Men­schen – eine wahr­lich bemer­kens­werte Zahl, da ganz Ungarn weni­ger als 10 Mio. Ein­woh­ner hat. Vero­nika Munk beschreibt in einem Inter­view ihr dama­li­ges Ver­hal­ten: „Ich habe dann meine Kol­le­gen ange­spro­chen und sie auf­ge­for­dert wei­ter­hin mit mir zusam­men­zu­ar­bei­ten. Ich habe zwar kein Geld, habe ich ihnen gesagt, aber bitte macht mit. Es wird gut wer­den, wenn wir zusam­men­ar­bei­ten. Anfang Sep­tem­ber haben wir dann schon mit unse­rer Crowdfunding-Kampagne begon­nen … Und inner­halb weni­ger Stun­den war klar, dass wir es schaf­fen wer­den, ein eige­nes neues Nach­rich­ten­por­tal zu grün­den. Das war der Beginn von Telex.”

Groß­de­mons­tra­tion für Index in Buda­pest, Juli 2020 Vero­nika Munk: “Wir haben gese­hen und auch gespürt, dass viele Men­schen an uns glau­ben und uns ver­trauen, aber wir wuss­ten nicht, ob sie dann auch bereit sein wer­den, ihren Geld­beu­tel zu öff­nen. Es ist nun mal zwei­er­lei, ob man auf die Straße geht und sich lei­den­schaft­lich für etwas ein­setzt oder ob man dafür selbst Geld bezahlt.”

wei­ter­le­sen …

Das neue Nach­rich­ten­por­tal Telex

Anfang Okto­ber 2020 star­tete bereits das neue Nach­rich­ten­por­tal Telex. In deren eige­nem Selbst­ver­ständ­nis heißt es u.a. „Wir ver­tre­ten nicht die Regie­rung, auch nicht die Oppo­si­tion, wir ver­tre­ten die Grund­werte eines kri­ti­schen, neu­gie­ri­gen und fai­ren Jour­na­lis­mus.“ Vero­nika Munk und die ins­ge­samt etwa 40 Redak­teure waren nun mit ihrem Lohn auf Spen­den und Bezahl­dienste ange­wie­sen. Szabolcs Dull musste zunächst wegen sei­ner ver­trag­li­chen Wett­be­werbs­klau­sel ein hal­bes Jahr aus­set­zen, bis er Teil des neuen Teams wer­den konnte. Aktu­ell hat telex 2,6 Mio täg­li­che Aufrufe.

Die erfolg­rei­che Grün­dung von „telex“ ist umso bemer­kens­wer­ter, da bereits 2010 nicht nur die Mei­nungs­frei­heit mas­siv ein­ge­schränkt wurde (dazu spä­ter), son­dern gleich­zei­tig auch alle staat­li­chen Stel­len und öffent­li­chen Ein­rich­tun­gen auf­ge­for­dert wur­den, kei­ner­lei Annon­cen mehr in pri­va­ten Medien zu schal­ten. Auch aus­län­di­schen Unter­neh­men, die auf Geneh­mi­gun­gen durch unga­ri­sche Behör­den oder staat­li­che För­de­run­gen war­ten, ist klar, dass es für ihre wirt­schaft­li­chen Inter­es­sen nicht för­der­lich ist, dort zu wer­ben. Große deut­sche Auto­her­stel­ler beant­wor­ten zwar keine Anfra­gen dazu, aber sie ver­hal­ten sich viel­fach entsprechend.

Repor­ter ohne Gren­zen: Ungarn fällt 2021 auf Platz 92 des World Press Free­dom Index

Ungarn liegt jetzt beim “World Press Free­dom” Ran­king auf Platz 92.

Repor­ter ohne Gren­zen“ erstellt jähr­lich ein welt­wei­tes Ran­king zur Mei­nungs– und Pres­se­frei­heit. Als Orbán 2010 zum Minis­ter­prä­si­den­ten gewählt wurde, stand Ungarn dort auf Platz 23 von ins­ge­samt 180 Län­dern. Nach sei­ner elf­jäh­ri­gen Regie­rungs­zeit liegt das Land nun auf jetzt Platz 92 – weit hin­ter Polen (64), der Mon­go­lei (68), Togo (74) oder z.B. auch Peru (91).

Zudem setzte „Repor­ter ohne Gren­zen“ 2021 Vik­tor Orbán auch noch als ers­ten und bis­her ein­zi­gen EU-Ministerpräsidenten auf die „Liste der Fein­din­nen und Feinde der Pres­se­frei­heit“. Chris­tian Mihr, deut­scher Geschäfts­füh­rer die­ser Orga­ni­sa­tion, erläu­terte: Orbán „lässt zwar kei­nen Jour­na­lis­ten zer­stü­ckeln, wie es dem sau­di­schen Kron­prin­zen Moham­med bin Sal­man vor­ge­wor­fen wird. Er lässt auch kei­nen kri­ti­schen Jour­na­lis­ten per Flug­zeug ent­füh­ren wie Alex­an­der Luka­schenko in Bela­rus. Aber Vik­tor Orbán ist per­sön­lich für den Ver­fall der Pres­se­frei­heit im EU-Land Ungarn ver­ant­wort­lich. Die­ser Ver­fall ist dra­ma­tisch und er geschieht sys­te­ma­tisch, weil Orbán geschickt und wie aus dem auto­kra­ti­schen Dreh­buch vor­geht. Dem muss die EU viel ent­schie­de­ner ent­ge­gen­tre­ten, als sie das bis­her tut.“

Wie kam es in Ungarn zum Ver­fall der Pressefreiheit?

Es begann rasch nach Orbáns gro­ßem Wahl­er­folg im April 2010. Bereits im August des­sel­ben Jah­res wurde die natio­nale Medien– und Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­be­hörde NMHH geschaf­fen. Die Regie­rung ernennt die Mit­glie­der die­ser neuen staat­li­chen Auf­sichts­be­hörde. Die NMHH hatte zunächst „nur“ die Auf­gabe, die öffentlich-rechtlichen Medien zu kon­trol­lie­ren, doch durch eine rasch erfolgte Ver­fas­sungs­än­de­rung und ein neues Medi­en­ge­setz wurde diese Kon­troll­funk­tion bereits ab dem 1. Januar 2011 auf alle unga­ri­schen Medien aus­ge­wei­tet. Die NMHH kon­trol­liert den Inhalt von Bei­trä­gen auf sog. „poli­ti­sche Aus­ge­wo­gen­heit“ und kann bei Ver­stö­ßen hohe Geld­stra­fen verhängen.

Zum 1. Jan. 2011 wurde zudem die staat­li­che Fonds­ge­sell­schaft MTVA gegrün­det, in der die vier gro­ßen öffentlich-rechtlichen Medien Magyar Rádió (MR), Magyar Tele­vízió (MT), Duna Tele­vízió (Duna TV) und Magyar Távi­rati Iroda (MTI) zusam­men­ge­schlos­sen wur­den. Diese vier Sen­der wur­den zunächst als Abtei­lun­gen inner­halb der MTVA geführt, ab 2015 aber zu einer „Super­re­dak­tion“ zusam­men­ge­legt. Die Chef­re­dak­teure die­ser Redak­tion sind aus­nahms­los Gefolgs­leute von Orbáns Fides­z­par­tei. Die poli­ti­sche Über­ein­stim­mung der sog. öffentlich-rechtlichen Medien mit der Regie­rungs­par­tei ist damit gegeben.

Diese Medien wer­den von der brei­ten Bevöl­ke­rung Ungarns tag­täg­lich kon­su­miert. Ein ein­zel­nes klei­nes Bei­spiel aus den letz­ten Wochen mag rasch illus­trie­ren, was dies kon­kret im All­tag bedeu­tet: Der Oppo­si­ti­ons­kan­di­dat Marky-Zay bekam im gesam­ten Wahl­kampf zur Par­la­ments­wahl 2022 ins­ge­samt nur fünf Minu­ten Sen­de­zeit in die­sen Medien. Orbán hin­ge­gen sah und hörte man dort von früh bis spät. Diese so rasche und so gra­vie­rende Ein­schrän­kung der Pres­se­frei­heit in Ungarn war nur mög­lich gewe­sen durch die 2/3-Mehrheit, die Vik­tor Orbáns Fides­z­par­tei erhal­ten hatte.

Media Monitoring/Medienbeobachtung

For­schungs­lei­ter von Mér­ték ist Dr. Gábor Polyák, Rechts­an­walt und außer­ord. Prof. am Insti­tut für Kom­mu­ni­ka­ti­ons– und Medi­en­wis­sen­schaft der Uni Pecs und der Cor­vi­nus Uni in Budapest.

2011 wurde in Buda­pest die NGO „Media­watch­dog Mér­ték Media Monitor“ gegrün­det. Diese vom Staat unab­hän­gige Orga­ni­sa­tion über­prüft fort­lau­fend die neuen unga­ri­schen Medi­en­ge­setze und deren Maß­nah­men und ver­sucht durch fach­lich fun­dierte Ana­ly­sen zu einem fak­ten­ba­sier­ten unga­ri­schen und euro­päi­schen Dis­kurs über Mei­nungs­frei­heit bei­zu­tra­gen. Die­ser Think Tank sieht sich aus­drück­lich euro­päi­schen Men­schen­rechts­stan­dards ver­pflich­tet. Auch die EU-Kommission kri­ti­sierte das neue unga­ri­sche Medi­en­ge­setz; es ver­stoße zumin­dest par­ti­ell gegen euro­päi­sche Grund­werte und die Richt­li­nien der EU. Dar­auf­hin nahm die unga­ri­sche Regie­rung das Gesetz zumin­dest für Inter­net­be­trei­ber incl. Blogs bzgl. der „poli­ti­schen aus­ge­wo­ge­nen Bericht­er­stat­tung“ zurück, ebenso die Anwen­dung des Geset­zes auf Medien mit Sitz im Aus­land, zudem auch bei sog. Bezahlsendern.

Die Zen­tra­li­sie­rung der Zeitungslandschaft

Für einen Groß­teil der länd­li­chen Bevöl­ke­rung waren tra­di­tio­nell vor allem ihre Regio­nal­zei­tun­gen wich­tig. Gerade diese Zei­tun­gen, oft auch kos­ten­lose Wer­be­blät­ter, wur­den aller­dings inner­halb kur­zer Zeit von Fidesz nahe­ste­hen­den Olig­ar­chen auf­ge­kauft. Bereits 2017 sind alle Regio­nal­zei­tun­gen in Orbáns treuen Hän­den. Ein wich­ti­ges Motiv die­ser Olig­ar­chen war es, der Regie­rung eine Art Gefäl­lig­keit zu tun, um so umfang­rei­che Staats­auf­träge zu erhal­ten. Und die­ses Geschäfts­mo­dell funk­tio­nierte und war durch­aus lukra­tiv. Redak­tio­nen wur­den nun zusam­men­ge­legt, alle benut­zen den glei­chen kos­ten­lo­sen regie­rungs­ge­steu­er­ten Pres­se­dienst; so spart man viel Geld. Die länd­li­che Bevöl­ke­rung liest nun mehr oder weni­ger über­all die glei­chen regie­rungs­na­hen und Orbán hul­di­gen­den Arti­kel, ver­setzt nur mit ein­zel­nen, weni­gen Berich­ten über lokale Ereignisse.

Für den Erhalt von Néps­z­abad­ság gibt es große Demons­tra­tio­nen in Buda­pest, 2016.

Ein gra­vie­ren­der Ein­schnitt in der unga­ri­schen Zei­tungs­land­schaft war, dass die tra­di­ti­ons­rei­che größte unga­ri­sche Tages­zei­tung Néps­z­abad­ság, seit der Wende eine bedeu­tende links­li­be­rale Zei­tung, 2016 ihr Erschei­nen ein­stel­len musste. Wie konnte das gesche­hen? 2015 ver­kaufte das schwei­ze­ri­sche Medi­en­un­ter­neh­men Rin­gier diese natio­nale Tages­zei­tung an „Media­works“, d.h. kon­kret an den öster­rei­chi­schen Finanz­in­ves­tor Hein­rich Pecina, der damals bereits acht unga­ri­sche Regio­nal­zei­tun­gen besaß. Ein Jahr spä­ter ver­kün­dete die­ser ansons­ten sehr erfolg­rei­che Geschäfts­mann, Néps­z­abad­ság sei nicht lukra­tiv und er „sus­pen­diere“ sie daher nun „auf unbe­stimmte Zeit“. Alle Mitarbeiter*innen wur­den ent­las­sen. Pecina ist in der Medi­en­welt für sol­che Auf­ga­ben bekannt. So spielte er auch in dem berühm­ten Ibiza-Video eine Rolle, in dem der dama­lige FPÖ-Chef Hans-Christian Stra­che über den Auf­kauf von Medien sprach. In die­sem Kon­text cha­rak­te­ri­siert er Hein­rich Pecina: Er sei der rich­tige Mann, um die Zei­tung auf Linie zu brin­gen, denn er habe „für (den unga­ri­schen Minis­ter­prä­si­den­ten) Vik­tor Orbán alle unga­ri­schen Medien der letz­ten 15 Jahre auf­ge­kauft und für ihn auf­be­rei­tet“. Auch für den Erhalt von Néps­z­abad­ság gibt es große Demons­tra­tio­nen in Buda­pest, 2016.

500 Medien wer­den der KESMA-Stiftung geschenkt.

Die nächste gra­vie­rende Ver­än­de­rung der unga­ri­schen Medi­en­land­schaft erfolgte nach Orbáns erneu­tem Wahl­sieg im April 2018. Bereits im Sep­tem­ber wurde die sog. „Mit­tel­eu­ro­päi­sche Presse– und Medi­en­stif­tung“ (KESMA) gegrün­det. Lörinc Més­záros, ein Jugend­freund des Minis­ter­prä­si­den­ten und einer der reichs­ten Män­ner Ungarns, schenkte sein dama­li­ges Medi­en­im­pe­rium an diese Stif­tung, andere regie­rungs­freund­li­che Medi­en­be­sit­zer folg­ten sei­nem Bei­spiel. So wurde KESMA inner­halb kür­zes­ter Zeit zum größ­ten Medi­en­un­ter­neh­men Ungarns mit einem Gesamt­wert von ins­ge­samt etwa 90 Mio. €.

Zur KESMA gehö­ren etwa 500 Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten, TV– und Radio­sen­der sowie Nach­rich­ten­web­sites. Durch diese Stif­tung wird die regie­rungs­treue Bericht­er­stat­tung noch wei­ter zen­tra­li­siert und damit ver­ein­heit­licht. Ein auch nur im Ansatz ver­gleich­ba­res Medi­en­un­ter­neh­men gibt es in kei­nem ande­ren euro­päi­schen Land. Dass die frü­he­ren Medi­en­be­sit­zer zu die­sen so über­aus groß­zü­gi­gen Geschen­ken an die neue Stif­tung bereit waren, ist mit per­sön­li­chen poli­ti­schen Ver­bin­dun­gen und Pro­fi­ten in ande­ren Geschäfts­be­rei­chen zu erklä­ren. Orbán spricht im Zusam­men­hang mit der KESMA-Stiftung von einer „natio­na­len stra­te­gi­schen Bedeu­tung im öffent­li­chen Interesse“.

Das Klub­rá­dió

Nur noch eine sehr kleine Gruppe nicht­re­gie­rungs­treuer Medien stand nun außer­halb des neuen Medi­en­im­pe­ri­ums KESMA. Dazu gehörte auch das sog. „Klub­ra­dio“, ein seit 1999 in ganz Ungarn belieb­ter pri­va­ter unab­hän­gi­ger Hör­funk­sen­der mit vie­len Talk– und Nach­rich­ten­bei­trä­gen aus Poli­tik, Kul­tur und Zeit­ge­sche­hen. Unter­schied­li­che Mei­nun­gen und Per­spek­ti­ven wur­den dort kon­tro­vers dis­ku­tiert. Das ver­steht Vik­tor Orbán nicht unter einer pro­duk­ti­ven Medienarbeit. 

Wer­bung für das beliebte Klub­rá­dió oben auf einer Haus­wand im Zen­trum von Buda­pest, ca. 2020

2011 hatte die­ser Sen­der eine halbe Mil­lion Hörer*innen, viele waren über 60 Jahre alt, poli­tisch inter­es­siert, gebil­det und oft auch gesell­schaft­lich enga­giert. 2013 wurde dem „Klub­ra­dio“ die natio­nale UKW-Frequenz ent­zo­gen, d.h. es durfte seit­her nur noch in Buda­pest sen­den. Wenige Jahre spä­ter ver­lor er den Sta­tus als öffent­li­cher Sen­der und damit auch die Wer­be­ein­nah­men von Unter­neh­men, die – in wel­cher Weise auch immer – dem unga­ri­schen Staat nahe­stan­den. Zum 15. Februar 2021 wurde die­sem letz­ten unab­hän­gi­gen Radio­sen­der Ungarns von der NMHH wegen „fort­ge­setz­ter Geset­zes­ver­stöße“ die UKW-Sendelizenz voll­stän­dig entzogen.

András Arato, Inten­dant und Eigen­tü­mer des „Klub­ra­dio“, ver­sucht juris­tisch dage­gen vor­zu­ge­hen. Kurz­fris­tig ent­schloss man sich, zukünf­tig als Web­ra­dio das eigene Pro­gramm wei­ter­hin zu sen­den. Doch viele ihrer tra­di­tio­nel­len Hörer*innen sind daran gewöhnt, bei der Arbeit im Haus und in der Küche das Radio anzu­schal­ten, aber nicht, sich Bei­träge im Inter­net zu suchen. Die Nut­zer­zahl sank; die Redak­tion braucht aber per­sön­li­che Spen­der und Spon­so­ren, um über­haupt arbei­ten zu können.

Der ein­zige Aus­weg ist immer wie­der das Internet

Mar­tón Gulyás: „Wir sind der größte Youtube-Channel des Lan­des und ver­ste­hen uns als Gegen­öf­fent­lich­keit.” „Par­ti­zán“ hat 270.000 Abon­nen­ten, ist par­tei­un­ab­hän­gig, links, und pri­mär crowd-funded.

Mar­tón Gulyás, ein 35-jährige Thea­ter­ma­cher, Jour­na­list und Akti­vist, ist ein her­aus­ra­gen­des Bei­spiel für eine neue kluge, schlag­fer­tige und durch­aus auch unge­wöhn­li­che Medi­en­kul­tur. Der­zeit ist er ver­mut­lich der erfolg­reichste poli­ti­sche Influ­en­cer des Lan­des. Mit sei­nem YouTube-Kanal mit dem mar­kan­ten Namen „Par­ti­zán“ errei­chen er und sein 40-köpfiges Redak­ti­ons­team hun­dert­tau­sende Zuschauer.

Täg­lich wird min­des­tens eine Dis­kus­sion, eine Debat­ten­show oder ein aus­führ­li­ches Inter­view pro­du­ziert. Seine sati­ri­sche Late-Night-Show am Frei­tag­abend“ wird von bis zu einer Mil­lion Men­schen gese­hen. „Par­ti­zán“ wurde wäh­rend der Pan­de­mie­zeit zu einer gewich­ti­gen Stimme der Oppo­si­tion. Dies war extrem wich­tig gewor­den, Orbán hatte im März 2020 im Par­la­ment ein Gesetz ver­ab­schie­den las­sen, das die Ver­brei­tung von Fake News, die den Erfolg der staat­li­chen Schutz­maß­nah­men gegen das Corona-Virus beein­träch­ti­gen, unter schwere Strafe gestellt. Ungarn setzte früh auf den chi­ne­si­schen Impf­stoff. Orbán behaup­tete, aus­län­di­sche Stu­den­ten hät­ten das Virus nach Ungarn gebracht, des­halb müss­ten die Uni­ver­si­tä­ten geschlos­sen wer­den.“ Das waren z.B. Punkte, die nicht kri­ti­siert wer­den durf­ten. Was als wahr oder falsch gilt, ent­schei­det in ers­ter Instanz die Regierung.

Der toma­ten­rote Road Truck (Sat­tel­zug), vom Team „Par­ti­zán“ umge­baut zum Stu­dio, aus dem live gesen­det wurde wäh­rend des Wahl­kampfs 2022.

In einem auf­fäl­li­gen gro­ßen roten Truck fuhr Gulyás mit sei­nem Team im Wahl­kampf 2022 durchs Land. Er suchte vor Ort den direk­ten Kon­takt mit der Bevöl­ke­rung und sen­dete auch von dort. Das Inter­esse bei der tra­di­tio­nel­len Land­be­völ­ke­rung hielt sich aller­dings sehr in Gren­zen. In Komárom, einer 18.000 Ein­woh­ner zäh­len­den Stadt 100 km west­lich von Buda­pest, wurde ihm sogar der Strom abge­dreht. Gulyás aber beschaffte sich nun kur­zer­hand einen Gene­ra­tor und sen­dete wei­ter: Es ist Sinn und Zweck von Kanal „Par­ti­zán“, „die poli­ti­sche Vor­stel­lungs­kraft der Men­schen zu befreien.“ (Gulyás)

Spy-Software Pega­sus wird gegen Investigativjournalist*innen eingesetzt

Der mehr­fach aus­ge­zeich­nete Inves­ti­ga­ti­vjour­na­list Szabolcs Panyi. U.a. auf sein Smart­phine wurde die Spy Soft­ware Pega­sus aus­ge­spielt. Damit waren der unga­ri­schen Regie­rung alle Kon­takte und Daten von ihm zugäng­lich, auch alle Gesprä­che und selbst eine Kamera. „Orbán behan­delt mich wie einen gefähr­li­chen Kri­mi­nel­len“, sagt Szabolcs Panyi.

2021 wird bekannt, dass Ungarn über die Trojaner-Software Pega­sus Journalisten*innen und Oppo­si­tio­nelle aus­spio­nierte. Die Soft­ware kann auf Smart­pho­nes nicht nur Tele­fon­ge­sprä­che mit­schnei­den, son­dern hat Zugriff auf sämt­li­che Daten des Geräts, d.h. das gesamte Adress­buch, alle Pass­wör­ter und Ver­bin­dungs­da­ten, sie kann alle Messenger-Kommunikationen mit­le­sen, das Mikro­fon und auch die Kamera unbe­merkt ein– und aus­schal­ten. Betrof­fen davon waren z.B. Szabolcs Panyi und András Szabó, beide sind inves­ti­ga­tive Jour­na­lis­ten des Recher­che­teams „Direkt 36“, spe­zia­li­siert u.a. auf Waf­fen­han­del, Spio­nage, Finanz­ge­schäfte. Panyi gilt als einer der hart­nä­ckigs­ten jun­gen Recher­cheure des Lan­des. Dass der unga­ri­sche Staat diese Soft­ware gegen Journalist*innen ein­setzt, empört nicht nur amnesty inter­na­tio­nal. Dies sorgt auch in Brüs­sel für Empö­rung. EU-Kommissionschefin von der Leyen for­mu­lierte, dies sei ein „Ver­stoß gegen die Medi­en­frei­heit der EU“.  „Ich suche nach einem juris­ti­schen Weg, wie wir auf EU-Ebene effek­tiv dar­auf rea­gie­ren kön­nen“, sagte Vera Jourova, die tsche­chi­sche Vize­prä­si­den­tin der EU-Kommission, im April 2022.

.

.

Arti­kel in der Frank­fur­ter Rund­schau zu einer wei­te­ren zivil­ge­sell­schaft­li­chen Initiative.

zurück …

 

 

“Das Sys­tem Orban”, das neue Buch von G. Dalos, März 2022

 

 

Auf "gefährdet" (veszébylen) stellte Szabolcs Dull das sog. "Unabhängigkeitsbarometer", als der politische Einfluss auf die journalistische Arbeit verstärkt wurde. Dies führte zu seiner Entlassung.
Auf “gefähr­det” (ves­zé­by­len) stellte Szabolcs Dull das sog. “Unab­hän­gig­keits­ba­ro­me­ter”, als der poli­ti­sche Ein­fluss auf die jour­na­lis­ti­sche Arbeit ver­stärkt wurde. Dies führte zu sei­ner Entlassung.

 

Yoeri Albrecht fragt Veronika Munk im Rahmen der „Freedom Lecture“ (De Balie TV). „D.h. Sie haben Ihre Arbeit und damit Ihr Einkommen aufgegeben, obwohl Sie eine junge Familie hatten?“ – Munk: „Das ist korrekt. So war es. Natürlich hatte ich Angst. Aber ich dachte einfach, es gibt keinen anderen Weg als zu kündigen.“
Yoeri Albrecht fragt Vero­nika Munk im Rah­men der „Free­dom Lec­ture“ (De Balie TV). „D.h. Sie haben Ihre Arbeit und damit Ihr Ein­kom­men auf­ge­ge­ben, obwohl Sie eine junge Fami­lie hat­ten?“ – Munk: „Das ist kor­rekt. So war es. Natür­lich hatte ich Angst. Aber ich dachte ein­fach, es gibt kei­nen ande­ren Weg als zu kündigen.“

 

Telex geht online. Gemeinsam und aufgeregt verfolgt das Redaktionsteam diesen Augenblick.
Telex geht online.
Gemein­sam und auf­ge­regt ver­folgt das Redak­ti­ons­team die­sen Augenblick.

 

Das neue, nun von den Redakteuren selbst gegründete Nachrichtenportal "telex" ist die prompte Antwort auf die zunehmende Einschränkung der Meinungsfreiheit bei "Index".
Das neue, nun von den Redak­teu­ren selbst gegrün­dete Nach­rich­ten­por­tal “telex” ist die prompte Ant­wort auf die zuneh­mende Ein­schrän­kung der Mei­nungs­frei­heit bei “Index”.

 

Veronika Munk und Szabolcs Dull, 2021
Vero­nika Munk und Szabolcs Dull, 2021

 

 

"Feind der Medien wirksam bekämpfen", Screenshot Homepage von "Reporter ohne Grenzen."
“Feind der Medien wirk­sam bekämp­fen”, Screen­shot Home­page von “Repor­ter ohne Grenzen.”

 

Das Logo der NMHH, d.h. "Nemzeti Média- és Hírközlési Hatóság (staatliche Behörde für Medien und Nachrichtenübermittlung), gegründet im August 2010
Das Logo der NMHH, d.h. “Nem­zeti Média– és Hír­köz­lési Hatóság (staat­li­che Behörde für Medien und Nach­rich­ten­über­mitt­lung), gegrün­det im August 2010

 

Das Logo der MTVA enthält die Kürzel der vier großen TV Sender, die damit zu einer Organisation zusammengeschlossen wurden.
Das Logo der MTVA ent­hält die Kür­zel der vier gro­ßen TV Sen­der, die damit zu einer Orga­ni­sa­tion zusam­men­ge­schlos­sen wurden.

 

 

So charakterisiert Tim Cross auf "videoweek" die gegenwärtige Situation. Sein Beitrag  vom Mai 2021 trägt den Titel "Wie Victor Orbán Werbung, Regulierung und Übernahmen einsetzt, um die ungarischen Medien zu kontrollieren."
So cha­rak­te­ri­siert Tim Cross auf “video­week” die gegen­wär­tige Situa­tion. Sein Bei­trag vom Mai 2021 trägt den Titel “Wie Vic­tor Orbán Wer­bung, Regu­lie­rung und Über­nah­men ein­setzt, um die unga­ri­schen Medien zu kontrollieren.”

 

 

Puccs (ung.) bedeuet: Putsch
Puccs (ung.) bedeuet: Putsch

 

Große Solidarität mit Népszabadság auf Budapests Straßen, 2016.
Große Soli­da­ri­tät mit Néps­z­abad­ság auf Buda­pests Stra­ßen, 2016.

 

 

 

 

 

 

 

András Arató, Senderchef des Klubrádió: „Es ist offensichtlich, wie konstruiert die Vorwürfe gegen uns sind, um sich damit kritischer Stimmen zu entledigen. Nur deshalb hat uns der politisch besetzte Medienrat die Frequenz entzogen.“
András Arató, Sen­der­chef des Klub­rá­dió: „Es ist offen­sicht­lich, wie kon­stru­iert die Vor­würfe gegen uns sind, um sich damit kri­ti­scher Stim­men zu ent­le­di­gen. Nur des­halb hat uns der poli­tisch besetzte Medi­en­rat die Fre­quenz entzogen.“

 

Die ungarische Medienbehörde NMHH hat die 92,9-MHz Radio-Frequenz nicht mehr an das Klubrádió vergeben; d.h. der Sender wird geschlossen.
Die unga­ri­sche Medi­en­be­hörde NMHH hat die 92,9-MHz Radio-Frequenz nicht mehr an das Klub­rá­dió ver­ge­ben; d.h. der Sen­der wird geschlos­sen. Bericht aus: Ungarn heute vom 3.12.2021

 

 

 

Ungarns Opposition auf Youtube heißt Partisán.
Ungarns Oppo­si­tion auf Youtube heißt Par­tisán.
Auch verdi berichtet.

 

 

Das Roadshow-Studio on tour von "Partizán" in Komárom, 2022
Das Roadshow-Studio von “Par­ti­zán” on tour in Komárom, 2022

 

Gulyas: „Nach der ersten Show hat die Stadt gemerkt, dass sie uns nicht mit Strom helfen will.“ So organisiert er schnell einen Generator.
Gulyas: „Nach der ers­ten Show hat die Stadt gemerkt, dass sie uns nicht mit Strom hel­fen will.“
So orga­ni­siert er schnell einen Gene­ra­tor, um wei­ter sen­den zu können.

 

Pegasus Spysoftware
Die Pega­sus Spy­soft­ware wurde vom unga­ri­schen Staat auch gegen kri­ti­sche Jour­na­lis­ten eingesetzt.