Zur Lage der Meinungsfreiheit in Pakistan
Fortsetzung
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Doch in vielen Fällen wird deutlich, dass die Gesetze oft als Legitimierung dienen, um gegen Ahmadis vorzugehen.
Die Polizei und der Staat schauen bei Übergriffen entweder weg oder sind sogar selbst beteiligt. Gemäß der pakistanischen Verfassung haben Muslime mehr Rechte in der Politik als religiöse Minderheiten (Nicht-Muslime); neben Ahmadis gehören auch Christen, Hindus, Sikhs und Buddhisten dazu, was zu einer Unterrepräsentation der Minderheiten führt.
Wie gesagt, ich selbst stamme aus einer pakistanischen Familie, habe aber das Land erst zweimal gesehen. Einmal mit drei Jahren und jetzt im Frühjahr mit 21 Jahren. Das liegt daran, dass meine Großeltern aufgrund der religiösen Verfolgung und Entrechtung der Ahmadi Muslime aus Pakistan flüchten mussten. Im Jahr 1971 wurde von einer Menge ein Privathaus in Chichawatni, in dem Ahmadis versammelt waren, angegriffen. Die Angreifer versuchten das Haus, in dem sich auch Frauen und Kinder befanden, in Brand zu setzen.
Mein Opa wollte dies verhindern und schoss vom Dach des Hauses aus in die Luft, um die Menge zu vertreiben. Die Angreifer gerieten in Panik, als sie die Schüsse hörten. Beim panischen Versuch wegzulaufen, fiel eine Angreiferin zu Boden und wurde von der Menge zu Tode getrampelt. Die Polizei, die vorher nichts gegen die Angreifer unternommen hatte, verhaftete meinen Opa als den Mörder dieser Frau. Dafür drohte ihm die Todesstrafe. In Sektion 81 des pakistanischen Strafrechtsbuches heißt es, dass in einem solchen Falle die Person als unschuldig gilt, wenn sie keine verbrecherische Absicht hatte und mit der Handlung jemanden von Unheil bewahren wollte. Dennoch ist Raum für Interpretation offen. Da mein Opa bereits verhaftet worden war, fehlte lediglich eine Legitimation, um ihn zu verurteilen: Entweder für den Tod der Angreiferin oder der Gotteslästerung. Die sogenannten ‚Blasphemie-Gesetze‘ sind eine der häufigsten Gründe, weshalb Minderheiten verhaftet werden. In diesem konkreten Fall lautete der Vorwurf, dass die Versammlung von Ahmadis in dem Haus der Gotteslästerung gewidmet gewesen sei. Dieser Vorwurf legitimierte auch den Angriff auf die Menschen im Haus. Mein Opa kam zunächst auf Bewährung aus dem Gefängnis, da sein Schwager einen gewissen politischen Einfluss besaß. Bevor es aber zur Urteilssprechung kam, flüchtete mein Opa nach Kuwait und ging später mit seiner Familie nach Deutschland.
Ich wurde in Deutschland geboren und bin hier aufgewachsen. In den drei Wochen, die ich im Frühjahr in Pakistan verbrachte, konnte ich nun zum ersten Mal das alltägliche Leben von Ahmadi-Muslimen in Pakistan sehen. Mir war bewusst, dass es dort viele Einschränkungen gibt, trotzdem war es vor allem im Vergleich zu dem, was ich vom Gemeinde-Leben in Deutschland kenne, erschreckend, die dortigen Verhältnisse zu sehen. Alles, was ich hier als normal erlebe, ist für die Ahmadis in Pakistan nicht selbstverständlich: In der Moschee zu beten, die Gebetsstätte „Moschee“ zu nennen, Zusammentreffen an religiösen Feiertagen, Glaubensgelübde abzulegen etc.; auch nur über Religion zu sprechen und entsprechende Begrüßungsformeln sind in Pakistan verboten. Unter den Ahmadis herrscht Angst, sie handeln und sprechen stets mit großer Vorsicht. Während dies für mich schockierend war, ist das für die dortige Minderheit ganz normaler Alltag. Meine Familie und ich mussten vorsichtig sein und immer darauf achten, dass wir nicht zu viel von uns preisgeben und damit Konflikte oder Schwierigkeiten hervorrufen. Während des Ramadans war ich in Pakistan. In Deutschland bin ich es gewohnt, dass wir uns zum Fastenbrechen in der Moschee treffen und danach gemeinsam das Gebet verrichten. In Pakistan ist das nicht möglich. Es finden zwar Gebete statt, allerdings ohne Gebetsruf; es besteht immer eine große Gefahr, weshalb niemand länger bleibt oder sich zum Fastenbrechen trifft. Das Eid-ul-Fitr Fest (Fest des Fastenbrechens) habe ich in Deutschland verbracht, dennoch habe ich mich in Pakistan mit Bekannten über die anstehende Feier unterhalten. Ich erzählte ihnen, wie ich mich morgens fertig machen werde, um in die Moschee zu gehen und anschließend den Tag mit der Familie feiere. Sie waren alle begeistert, dass ich in die Moschee gehen kann. In einem Gespräch erzählte mir eine Verwandte, dass sie jetzt in eine neue Schule geht, dass sie aber sehr aufpassen muss, dass niemand erfährt, dass sie Ahmadi ist. Manche Lehrkräfte erschweren die Schule für Ahmadi-Schüler und schlagen sie sogar. Auch Mitschüler ziehen sie dann auf und machen sie runter und mobben sie – Religiöse Freiheit stelle ich mir anders vor.
Die Situation fürJournalisten und Medien
Doch nicht nur die Minderheiten leiden unter Einschränkungen hinsichtlich von Schutz, Meinungsfreiheit und weniger Rechten, die Presse ist ebenso davon betroffen. Wie den Schlagzeilen oben zu entnehmen ist, wird großer Druck auf Nachrichtensender und Journalisten ausgeübt. Die Berichterstattung der Medien wird kontrolliert, um ein gewisses Bild der Regierung vermitteln zu können. Doch das entspricht nicht der in der Verfassung festgelegten Meinungs– und Pressefreiheit. Trotzdem wird gegen Presse und Journalisten vorgegangen, die entweder neutral berichten oder die Regierung kritisieren. Im Jahresbericht 2022 der „Human Rights Watch“ wird ein Anstieg der Gewalt gegenüber den Medien und Journalisten deutlich: Beispielsweise wurde im April 2021 der Journalist Absar Alam in Islamabad beschossen. Zuvor habe er die pakistanische Regierung kritisiert.
Im Februar 2023 wurde der pakistanische Journalist Imran Riaz Khan angeblich wegen Hassrede festgenommen. In seiner Rede sprach er über die Gewalt, die gegen Journalisten angewendet werde. Zudem ist es Fernsehkanälen verboten, Reden oder Ähnliches des ehemaligen Premierministers, Imran Khan, auszustrahlen. Khan wird seit seiner Amtsenthebung im April 2022 vorgeworfen, staatliche Institutionen anzugreifen und Hass zu verbreiten.
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Dem privaten Nachrichtenkanal ARY News wurde für eine Ausstrahlung zeitweilig die Lizenz entzogen. Nach Khan wurde Shehbaz Sharif zum neuen Premierminister gewählt. Khan glaubte, dass die USA und die ‚Pakistan Democratic‘-Bewegung für seine Enthebung verantwortlich gewesen seien. Im November 2022 überlebte Imran Khan ein mutmaßliches Attentat auf einem Protestmarsch von Lahore nach Islamabad. Dieses Ereignis verschärfte die bereits angespannte politische Stimmung in Pakistan noch mehr.
Druck und Kontrolle enden aber nicht hier, auch Privatpersonen sind betroffen und müssen sich für ihre politische Einstellung verantworten. In den Wochen in Pakistan habe ich mit vielen Menschen gesprochen, dabei wurde das Thematisieren von Politik häufig gemieden. Auch meine Familie und ich waren vorsichtig, wenn wir nachgefragt haben, wie die Person das politische Geschehen zurzeit wahrnimmt. Ein Taxifahrer hat uns im Gespräch z. B. von einem Freund erzählt, der auf Facebook Posts online stellte, die mit dem Ex-Premierminister Imran Khan sympathisieren. Er habe seinen Freund gebeten vorsichtig zu sein und erstmal nicht seine politische Orientierung zu offenbaren. Es ist bekannt, dass nach dem Veröffentlichen solcher Posts ein namenloser Anrufer das Löschen strikt anordnet. Wird dem nicht nachgekommen, sei es auch schon vorgekommen, dass Personen spurlos verschwinden. Auch der Freund des Taxifahrers sei einige Tage nach dem Posten verschwunden.
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