Zur Lage der Mei­nungs­frei­heit in Pakistan

Fort­set­zung

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Die­ses Foto zeigt mich bei mei­nem ers­ten Pakistan-Besuch im Dorf mei­ner Oma, 2005.

Doch in vie­len Fäl­len wird deut­lich, dass die Gesetze oft als Legi­ti­mie­rung die­nen, um gegen Ahma­dis vorzugehen.

Die Poli­zei und der Staat schauen bei Über­grif­fen ent­we­der weg oder sind sogar selbst betei­ligt. Gemäß der pakis­ta­ni­schen Ver­fas­sung haben Mus­lime mehr Rechte in der Poli­tik als reli­giöse Min­der­hei­ten (Nicht-Muslime); neben Ahma­dis gehö­ren auch Chris­ten, Hin­dus, Sikhs und Bud­dhis­ten dazu, was zu einer Unter­re­prä­sen­ta­tion der Min­der­hei­ten führt.

Wie gesagt, ich selbst stamme aus einer pakis­ta­ni­schen Fami­lie, habe aber das Land erst zwei­mal gese­hen. Ein­mal mit drei Jah­ren und jetzt im Früh­jahr mit 21 Jah­ren. Das liegt daran, dass meine Groß­el­tern auf­grund der reli­giö­sen Ver­fol­gung und Ent­rech­tung der Ahmadi Mus­lime aus Pakis­tan flüch­ten muss­ten.  Im Jahr 1971 wurde von einer Menge ein Pri­vat­haus in Chicha­watni, in dem Ahma­dis ver­sam­melt waren, ange­grif­fen. Die Angrei­fer ver­such­ten das Haus, in dem sich auch Frauen und Kin­der befan­den, in Brand zu setzen.

Mein Opa, Kha­lil Ahmad Bajwa, auf­ge­nom­men 1971 kurz vor dem Ereig­nis in Chichawatni.

Mein Opa wollte dies ver­hin­dern und schoss vom Dach des Hau­ses aus in die Luft, um die Menge zu ver­trei­ben. Die Angrei­fer gerie­ten in Panik, als sie die Schüsse hör­ten. Beim pani­schen Ver­such weg­zu­lau­fen, fiel eine Angrei­fe­rin zu Boden und wurde von der Menge zu Tode getram­pelt. Die Poli­zei, die vor­her nichts gegen die Angrei­fer unter­nom­men hatte, ver­haf­tete mei­nen Opa als den Mör­der die­ser Frau. Dafür drohte ihm die Todes­strafe. In Sek­tion 81 des pakis­ta­ni­schen Straf­rechts­bu­ches heißt es, dass in einem sol­chen Falle die Per­son als unschul­dig gilt, wenn sie keine ver­bre­che­ri­sche Absicht hatte und mit der Hand­lung jeman­den von Unheil bewah­ren wollte. Den­noch ist Raum für Inter­pre­ta­tion offen. Da mein Opa bereits ver­haf­tet wor­den war, fehlte ledig­lich eine Legi­ti­ma­tion, um ihn zu ver­ur­tei­len: Ent­we­der für den Tod der Angrei­fe­rin oder der Got­tes­läs­te­rung. Die soge­nann­ten ‚Blasphemie-Gesetze‘ sind eine der häu­figs­ten Gründe, wes­halb Min­der­hei­ten ver­haf­tet wer­den. In die­sem kon­kre­ten Fall lau­tete der Vor­wurf, dass die Ver­samm­lung von Ahma­dis in dem Haus der Got­tes­läs­te­rung gewid­met gewe­sen sei. Die­ser Vor­wurf legi­ti­mierte auch den Angriff auf die Men­schen im Haus. Mein Opa kam zunächst auf Bewäh­rung aus dem Gefäng­nis, da sein Schwa­ger einen gewis­sen poli­ti­schen Ein­fluss besaß. Bevor es aber zur Urteils­spre­chung kam, flüch­tete mein Opa nach Kuwait und ging spä­ter mit sei­ner Fami­lie nach Deutschland.

Eine Auf­nahme von mir in Lahore, der zweit­größ­ten Stadt Pakis­tans (11 Mio E), Früh­jahr 2023

Ich wurde in Deutsch­land gebo­ren und bin hier auf­ge­wach­sen. In den drei Wochen, die ich im Früh­jahr in Pakis­tan ver­brachte, konnte ich nun zum ers­ten Mal das all­täg­li­che Leben von Ahmadi-Muslimen in Pakis­tan sehen. Mir war bewusst, dass es dort viele Ein­schrän­kun­gen gibt, trotz­dem war es vor allem im Ver­gleich zu dem, was ich vom Gemeinde-Leben in Deutsch­land kenne, erschre­ckend, die dor­ti­gen Ver­hält­nisse zu sehen. Alles, was ich hier als nor­mal erlebe, ist für die Ahma­dis in Pakis­tan nicht selbst­ver­ständ­lich: In der Moschee zu beten, die Gebets­stätte „Moschee“ zu nen­nen, Zusam­men­tref­fen an reli­giö­sen Fei­er­ta­gen, Glau­bens­ge­lübde abzu­le­gen etc.; auch nur über Reli­gion zu spre­chen und ent­spre­chende Begrü­ßungs­for­meln sind in Pakis­tan ver­bo­ten. Unter den Ahma­dis herrscht Angst, sie han­deln und spre­chen stets mit gro­ßer Vor­sicht. Wäh­rend dies für mich scho­ckie­rend war, ist das für die dor­tige Min­der­heit ganz nor­ma­ler All­tag. Meine Fami­lie und ich muss­ten vor­sich­tig sein und immer dar­auf ach­ten, dass wir nicht zu viel von uns preis­ge­ben und damit Kon­flikte oder Schwie­rig­kei­ten her­vor­ru­fen. Wäh­rend des Rama­dans war ich in Pakis­tan. In Deutsch­land bin ich es gewohnt, dass wir uns zum Fas­ten­bre­chen in der Moschee tref­fen und danach gemein­sam das Gebet ver­rich­ten. In Pakis­tan ist das nicht mög­lich. Es fin­den zwar Gebete statt, aller­dings ohne Gebets­ruf; es besteht immer eine große Gefahr, wes­halb nie­mand län­ger bleibt oder sich zum Fas­ten­bre­chen trifft. Das Eid-ul-Fitr Fest (Fest des Fas­ten­bre­chens) habe ich in Deutsch­land ver­bracht, den­noch habe ich mich in Pakis­tan mit Bekann­ten über die anste­hende Feier unter­hal­ten. Ich erzählte ihnen, wie ich mich mor­gens fer­tig machen werde, um in die Moschee zu gehen und anschlie­ßend den Tag mit der Fami­lie feiere. Sie waren alle begeis­tert, dass ich in die Moschee gehen kann. In einem Gespräch erzählte mir eine Ver­wandte, dass sie jetzt in eine neue Schule geht, dass sie aber sehr auf­pas­sen muss, dass nie­mand erfährt, dass sie Ahmadi ist. Man­che Lehr­kräfte erschwe­ren die Schule für Ahmadi-Schüler und schla­gen sie sogar. Auch Mit­schü­ler zie­hen sie dann auf und machen sie run­ter und mob­ben sie – Reli­giöse Frei­heit stelle ich mir anders vor.

Die Situa­tion für­Jour­na­lis­ten und Medien

Rang­liste der Pres­se­frei­heit nach dem Jah­res­be­richt von “Repor­ter ohne Grenzen”

Doch nicht nur die Min­der­hei­ten lei­den unter Ein­schrän­kun­gen hin­sicht­lich von Schutz, Mei­nungs­frei­heit und weni­ger Rech­ten, die Presse ist ebenso davon betrof­fen. Wie den Schlag­zei­len oben zu ent­neh­men ist, wird gro­ßer Druck auf Nach­rich­ten­sen­der und Jour­na­lis­ten aus­ge­übt. Die Bericht­er­stat­tung der Medien wird kon­trol­liert, um ein gewis­ses Bild der Regie­rung ver­mit­teln zu kön­nen. Doch das ent­spricht nicht der in der Ver­fas­sung fest­ge­leg­ten Mei­nungs– und Pres­se­frei­heit. Trotz­dem wird gegen Presse und Jour­na­lis­ten vor­ge­gan­gen, die ent­we­der neu­tral berich­ten oder die Regie­rung kri­ti­sie­ren. Im Jah­res­be­richt 2022 der „Human Rights Watch“ wird ein Anstieg der Gewalt gegen­über den Medien und Jour­na­lis­ten deut­lich:  Bei­spiels­weise wurde im April 2021 der Jour­na­list Absar Alam in Isla­ma­bad beschos­sen. Zuvor habe er die pakis­ta­ni­sche Regie­rung kritisiert.

Imran Riaz Khan, Jour­na­list und Youtuber (3,5 Mio Follower).

Im Februar 2023 wurde der pakis­ta­ni­sche Jour­na­list Imran Riaz Khan angeb­lich wegen Hass­rede fest­ge­nom­men. In sei­ner Rede sprach er über die Gewalt, die gegen Jour­na­lis­ten ange­wen­det werde. Zudem ist es Fern­seh­ka­nä­len ver­bo­ten, Reden oder Ähn­li­ches des ehe­ma­li­gen Pre­mier­mi­nis­ters, Imran Khan, aus­zu­strah­len. Khan wird seit sei­ner Amts­ent­he­bung im April 2022 vor­ge­wor­fen, staat­li­che Insti­tu­tio­nen anzu­grei­fen und Hass zu verbreiten.

Die Anga­ben stam­men von “Repor­ter ohne Grenzen.”

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Dem pri­va­ten Nach­rich­ten­ka­nal ARY News wurde für eine Aus­strah­lung zeit­wei­lig die Lizenz ent­zo­gen. Nach Khan wurde Sheh­baz Sharif zum neuen Pre­mier­mi­nis­ter gewählt. Khan glaubte, dass die USA und die ‚Pakis­tan Democratic‘-Bewegung für seine Ent­he­bung ver­ant­wort­lich gewe­sen seien. Im Novem­ber 2022 über­lebte Imran Khan ein mut­maß­li­ches Atten­tat auf einem Pro­test­marsch von Lahore nach Isla­ma­bad. Die­ses Ereig­nis ver­schärfte die bereits ange­spannte poli­ti­sche Stim­mung in Pakis­tan noch mehr.

Druck und Kon­trolle enden aber nicht hier, auch Pri­vat­per­so­nen sind betrof­fen und müs­sen sich für ihre poli­ti­sche Ein­stel­lung ver­ant­wor­ten. In den Wochen in Pakis­tan habe ich mit vie­len Men­schen gespro­chen, dabei wurde das The­ma­ti­sie­ren von Poli­tik häu­fig gemie­den. Auch meine Fami­lie und ich waren vor­sich­tig, wenn wir nach­ge­fragt haben, wie die Per­son das poli­ti­sche Gesche­hen zur­zeit wahr­nimmt. Ein Taxi­fah­rer hat uns im Gespräch z. B. von einem Freund erzählt, der auf Face­book Posts online stellte, die mit dem Ex-Premierminister Imran Khan sym­pa­thi­sie­ren. Er habe sei­nen Freund gebe­ten vor­sich­tig zu sein und erst­mal nicht seine poli­ti­sche Ori­en­tie­rung zu offen­ba­ren. Es ist bekannt, dass nach dem Ver­öf­fent­li­chen sol­cher Posts ein namen­lo­ser Anru­fer das Löschen strikt anord­net. Wird dem nicht nach­ge­kom­men, sei es auch schon vor­ge­kom­men, dass Per­so­nen spur­los ver­schwin­den. Auch der Freund des Taxi­fah­rers sei einige Tage nach dem Pos­ten verschwunden. 

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Nach dem Anschlag auf zwei Moscheen der Ahmadiyya in Lahore, 2010.
Nach dem Anschlag auf zwei Moscheen der Ahma­diyya in Lahore, 2010.

Das Bild zeigt, wie sich beim Angriff auf zwei Ahmadiyya Moscheen in Lahore (2010) Offiziere schutzsuchend hinter Autos verstecken.
Das Bild zeigt, wie sich bei dem Anschlag auf zwei Ahma­diyya Moscheen in Lahore Offi­ziere schutz­su­chend hin­ter Autos ver­ste­cken, 2010.

 

 

Dieses hellgrüne Haus ist kein Wohnhaus, sondern eine Moschee. Da Ahmadis ihre Gebetshäuser nicht Moscheen nennen dürfen, dürfen sie auch im Aussehen nicht Moscheen ähneln; sie dürfen keine Minarette haben. Diese Moschee steht in Chak 73 JN, dem Dorf meiner Oma, Bushra Begum Bajwa.
Die­ses hell­grüne Haus ist kein Wohn­haus, son­dern eine Moschee. Da Ahma­dis ihre Gebets­häu­ser nicht Moscheen nen­nen dür­fen, dür­fen sie auch im Aus­se­hen nicht Moscheen ähneln; sie dür­fen keine Mina­rette haben. Diese Moschee steht in Chak 73 JN, dem Dorf mei­ner Oma, Bushra Begum Bajwa.

 

 

Schüler*innen einer Mädchenschule in Rabwah (Chenab Nagar). Meine Mama hat diese Schule besucht, bevor sie mit 10 Jahren nach Deutschland kam.
Schüler*innen einer Mäd­chen­schule in Rab­wah (Chenab Nagar). Meine Mama hat diese Schule besucht, bevor sie mit 10 Jah­ren nach Deutsch­land kam.

 

 

Der Journalist Absar Alam; auf ihn wurde im April 2021 geschossen, als er in einem Park in der Nähe seines Hauses spazieren ging – soweit bekannt von jemandem, der es nicht mochte, dass er das pakistanische Militär kritisierte. Er wurde zur Behandlung ins Krankenhaus eingeliefert und erholte sich glücklicherweise von seinen Verletzungen.
Der Jour­na­list Absar Alam; auf ihn wurde im April 2021 geschos­sen, als er in einem Park in der Nähe sei­nes Hau­ses spa­zie­ren ging – soweit bekannt von jeman­dem, der es nicht mochte, dass er das pakis­ta­ni­sche Mili­tär kri­ti­sierte. Er wurde zur Behand­lung ins Kran­ken­haus ein­ge­lie­fert und erholte sich glück­li­cher­weise von sei­nen Verletzungen.

 

 

"Reporter ohne Grenzen" stuft Pakistan im weltweiten Vergleich auf Platz 150 von insgesamt 180 Rängen.
“Repor­ter ohne Gren­zen” stuft Pakis­tan im welt­wei­ten Ver­gleich auf Platz 150 von ins­ge­samt 180 Rängen.