DSC_0011 HVCor­ne­lia Rüh­lig: Wir ken­nen heute viele Details über das Wall­dor­fer Lager. Doch was bedeu­tet die­ses Wis­sen für uns heute?

"Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung." (Der Schwur der Häftlinge von Buchenwald)
“Die Ver­nich­tung des Nazis­mus mit sei­nen Wur­zeln ist unsere Losung.” (Aus: Der Schwur der Häft­linge von Buchenwald)

Rudi Hech­ler, viele Jahre Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der der DKP im Stadt­par­la­ment von Mörfelden-Walldorf, sagte: Vera Dotan, eine Über­le­bende des Wall­dor­fer Lagers, saß vor ca. zehn Jah­ren bei uns am Kaf­fee­tisch. Meine Enke­lin kam hinzu, und Vera sagte zu ihr in ihrer lei­sen rauen Stimme: „Wie alt bist du?“Drei­zehn,” sagte unsere Kleine. Und Vera: „Ich war auch 13.“ Vera erin­nert sich noch genau an den Tag der Ankunft. Drei Tage im Vieh­wag­gon von Ausch­witz nach Wall­dorf. Der Gas­kam­mer zunächst entronnen,war ihnen ein ande­res Ende zuge­dacht: Tod durch Arbeit. “Ich war 13,” — sagte Vera. Wir die Nach­ge­bo­re­nen soll­ten uns vor­stel­len, es wären unsere Kin­der und unsere Enkel­kin­der, denen so etwas geschieht.… und - wir soll­ten nicht kalt und sprach­los wer­den bei den Bil­dern, die wir heute im Fern­se­hen betrach­ten. Im April 1945 sag­ten Über­le­bende im „Schwur der Häft­linge von Buchen­wald“: „Die Ver­nich­tung des Nazis­mus mit sei­nen Wur­zeln ist unsere Losung. Der Auf­bau einer neuen Welt des Frie­dens und der Frei­heit ist unser Ziel.“ Unser Ziel muss es bleiben.

"Wenn ich ehrlich bin, muss ich sagen, ich kann mir kaum vorstellen, wie es für die Mädchen damals gewesen sein muss ... Doch ich empfinde großen Respekt vor diesen starken Frauen
“Wenn ich ehr­lich bin, muss ich sagen, ich kann mir kaum vor­stel­len, wie es für die Mäd­chen damals gewe­sen sein muss … Doch ich emp­finde gro­ßen Respekt vor die­sen star­ken Frauen.”

Kirs­ten Hart­mann, Schü­le­rin der Ricarda-Huch-Schule, beschäf­tigte sich inten­siv mit dem Wall­dor­fer Lager: Als ich das erste Mal im Rah­men eines Schul­pro­jek­tes von dem Lager in Wall­dorf erfuhr, war ich geschockt. Geschockt über die Dinge, die dort pas­siert sind, und geschockt über den Fakt, dass ich bis jetzt nichts davon gehört hatte, obwohl ich doch nur um die Ecke wohne. Mein All­tag ist nor­ma­ler­weise: vor allem vol­ler Stress in der Schule wäh­rend der Klau­su­ren­phase, Streit mit Freun­den, mit den Eltern. Oft fühle ich mich damit schon über­for­dert. Wenn ich ehr­lich zu mir bin, muss ich sagen, ich kann mir kaum vor­stel­len, wie es für die Mäd­chen damals gewe­sen sein muss, in ein Arbeits­la­ger gesteckt und dort Tag für Tag schreck­lich gede­mü­tigt zu wer­den! Aber dann auch noch zu hören, dass diese Frauen zudem mit­er­le­ben muss­ten, wie all das nach 1945 quasi unter den Tisch gekehrt wurde, das macht mich schon unglaub­lich wütend! Ich frage mich, wie sich wohl die Opfer füh­len müs­sen? Bei all dem, was wir durch das Pro­jekt erfah­ren haben, war für mich das beein­dru­ckendste die Offen­heit und die Freund­lich­keit, mit der die Über­le­ben­den die Schü­le­rin­nen und Schü­ler emp­fin­gen! Ganz ohne Hass oder Ver­schlos­sen­heit, öff­ne­ten sie sich, um ihnen und damit uns zu erzäh­len! Egal wie sehr sich mein Leben von dem der Insas­sin­nen unter­schei­det, ich durfte einen Teil ihrer per­sön­li­chen Geschichte erfah­ren und kann aus volls­tem Her­zen sagen, ich emp­finde ein­fach gro­ßen Respekt vor die­sen star­ken Frauen!”

Aus dem schrecklichen, das unseren waldensischen vorfahren widerfahren ist, aus dem schrecklichen, das hier im Wald in Walldorf geschah, gibt es für mich nur die Konsequenz, mich immer dort zu engagieren, wo Unrecht geschieht udn Minderheiten diskriminiert werden..."
Aus dem Schreck­li­chen, das unse­ren wal­den­si­schen Vor-fahren wider­fah­ren ist, aus dem Schreck­li­chen, das hier im Wald in Wall­dorf geschah, gibt es für mich nur die Kon­se­quenz, mich immer dort zu enga­gie­ren, wo Unrecht geschieht .” 

Helga Dusse, Mit­ar­bei­te­rin der Arbeits­ge­mein­schaft für Wall­dor­fer Geschichte und viel­fäl­tig in Gre­mien der refor­mier­ten Kir­che enga­giert, sagte: Ich bin Wall­dor­fe­rin mit wal­den­si­scher Her­kunft. Wal­den­ser gehör­ten im Mit­tel­al­ter zu den Ket­zern, die öffent­lich ver­brannt wur­den. Wegen ihres Glau­bens ver­folgt, flüch­te­ten sie vor 300 Jah­ren u.a. nach Hes­sen und grün­de­ten 1699 Wall­dorf. Zu wis­sen, dass 1944 1.700 völ­lig unschul­dige junge jüdi­sche Unga­rin­nen hier im Wald – nur wenige hun­dert Meter von mei­nem Eltern­haus ent­fernt – bru­tal behan­delt und z.T. ermor­det wur­den, tut weh. “Wann fan­gen wir an, dar­aus zu ler­nen?” – Aus der Geschichte der Wal­den­ser, aus der Geschichte der jüdi­schen Ver­fol­gung, aus der Dis­kri­mi­nie­rung der Schwar­zen, die ich z.B. in Süd­afrika mit­er­lebt habe, wo ich im Auf­trag der Evang. Kir­che in Deutsch­land und des Refor­mier­ten Bun­des mit einer Dele­ga­tion viele Gesprä­che in Gemein­den, Uni­ver­si­tä­ten, Kli­ni­ken sowie Gewerk­schaf­ten füh­ren konnte. Doch in Süd­afrika habe ich auch erlebt, was es bedeu­tet, Leid zu ertra­gen und den­noch zu hof­fen. Es hat mich tief beein­druckt, zu sehen, wie die Schwar­zen dort unter pri­mi­tivs­ten Bedin­gun­gen leb­ten und den­noch immer wie­der Kraft schöp­fen konn­ten, um schließ­lich eine fried­li­che gesell­schaft­li­che Ver­än­de­rung her­bei­zu­füh­ren. Dabei ist mir klar gewor­den: Eine mensch­li­che Gesell­schaft ist nicht mög­lich ohne diese Hoff­nung und ohne eine uner­müd­li­che Arbeit an der Basis. Aus dem Schreck­li­chen, das unse­ren wal­den­si­schen Vor­fah­ren wider­fah­ren ist, aus dem Schreck­li­chen, das hier im Wald in Wall­dorf geschah, gibt es für mich nur die Kon­se­quenz, sich immer dort zu enga­gie­ren, wo Unge­rech­tig­keit geschieht und Min­der­hei­ten dis­kri­mi­niert wer­den. Und dazu gehört stets auch eine gute und mensch­li­che Erzie­hung und Bil­dung unse­rer Kinder.

"ich bin dankbar, dass es solche realen Lernorte wie diese Gedenkstätte gibt, um Geschichte zu erfahren."
“Ich bin dank­bar, dass es sol­che rea­len Lern­orte wie diese Gedenk­stätte gibt, um Geschichte zu erfah­ren.

Celine Freu­den­thal, Schü­le­rin der Ricarda-Huch-Schule, sagte: Für mich ist eine sol­che Gedenk­stätte eines ehe­ma­li­gen Kon­zen­tra­ti­ons­la­gers ein bedeu­ten­der Teil der Geschichte, der mir diese auf einem ande­ren Weg ver­mit­telt. Ich bin dafür dank­bar, dass es sol­che rea­len Lern­orte wie diese Gedenk­stätte gibt, um Geschichte zu erfah­ren. Unsere Gruppe konnte vor Ort auf Spu­ren­su­che gehen, ich konnte mich bes­ser in die Situa­tion der jun­gen Frauen hin­ein­ver­set­zen und es bleibt mir stär­ker im Gedächt­nis. Ich denke die Erin­ne­rung daran ist wich­tig und sollte wei­ter­ge­tra­gen wer­den durch uns alle.  

"Wenn Unrecht aufgedeckt und öffentlich gemacht wird, dann macht man da mit ..."
“Wenn Unrecht auf­ge­deckt und öffent­lich gemacht wird, dann macht man da mit …”

Gün­ter Völ­ker, ein stän­di­ger Rat­ge­ber und För­de­rer unse­rer Aus­gra­bungs­pro­jekte: Wenn die jun­gen Leute hier den Kel­ler unter der Küchen­ba­ra­cke aus­gra­ben, komme ich immer hier­her. Das ist doch nor­mal, dass man da hin­geht. Wir wis­sen doch, was hier pas­siert ist. Und wenn Unrecht auf­ge­deckt und öffent­lich gemacht wird, dann macht man da mit. Das muss ein­fach so sein. Natür­lich weiß ich auch, dass das in mei­ner Gene­ra­tion nicht jeder macht. Ich bin 1938 gebo­ren. Ich habe die Nazi­zeit als klei­ner Bub noch mit­ge­macht. Aber mein Vater war 1933 im KZ Ost­ho­fen und spä­ter noch in Butz­bach im Gefäng­nis. Der war poli­tisch ver­folgt. Das Eltern­haus macht viel aus. Auch wenn ich erst 17 Jahre alt war, wie mein Vater gestor­ben ist. Das sind bei mir noch immer die alten Spu­ren. Er ist ein biss­chen ein Vor­bild für mich. Was der alles gemacht hat; da kann ich ja gar nicht mithalten.

Amila spielt auf der Kla­ri­nette in Erin­ne­rung an die poli­tisch Ver­folg­ten der NS-Zeit: „Wir sind die Moor­sol­da­ten …“

"Ich kann und will im Rahmen meiner Möglichkeiten eingreifen ...Die Verantwortung fängt bei mir an."
“Ich kann und will im Rah­men mei­ner Mög­lich­kei­ten ein­grei­fen …Die Ver­ant­wor­tung fängt bei mir an.”

 

Vanessa Hil­la­brand, Schü­le­rin der Ricarda-Huch-Schule, sagt: Als ich 11 Jahre alt war, habe ich bei mei­ner Uroma im Fern­se­hen zufäl­lig eine Doku­men­ta­tion über das Dritte Reich gese­hen. Ich weiß noch genau, wie bedroh­lich ich die Bil­der emp­fun­den habe und dass ich wis­sen wollte, was es damit auf sich hat. Spä­ter hat mir der Schul­un­ter­richt gehol­fen, viele Wis­sens­lü­cken nach und nach zu schlie­ßen; auch pri­vat habe ich mich wei­ter viel mit dem Thema beschäf­tigt. Aber schließ­lich war es unser Schul­pro­jekt in Mörfelden-Walldorf, das das Grauen die­ser Zeit auf eine ganz neue Ebene geho­ben hat. Durch die­ses Pro­jekt war der Holo­caust für mich plötz­lich ganz nah. Theo­re­tisch war mir klar gewe­sen, dass der Holo­caust in ganz Deutsch­land, also auch in mei­ner Hei­mat, statt­ge­fun­den hatte. Dass aber eine KZ Außen­stelle plötz­lich so nah und sogar greif­bar war, hat mich kalt erwischt. Die Erkennt­nisse aus dem Semi­nar am ehe­ma­li­gen Außen­la­ger in Mörfelden-Walldorf haben mich mehr betrof­fen als es Doku­men­ta­tio­nen über Ausch­witz je ver­mocht hat­ten. Auch die Tat­sa­che, dass der Flug­ha­fen teil­weise unter Mit­wir­kung von Häft­lin­gen des Kon­zen­tra­ti­ons­la­gers erbaut wor­den war, hat mich sehr betrof­fen gemacht. Diese Erkennt­nisse und Infor­ma­tio­nen haben mein Ver­ständ­nis in Bezug auf unser gan­zes gesell­schaft­li­ches Zusam­men­le­ben ver­än­dert. Als eine dadurch sen­si­bi­li­sierte Bür­ge­rin der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land kann und will ich im Rah­men mei­ner Mög­lich­kei­ten ein­grei­fen, sobald ich merke, dass sich die Poli­tik in gefähr­li­che Sphä­ren ver­läuft. Dies ist eine wich­tige Kon­troll­funk­tion unse­rer Demo­kra­tie, für die jeder Ein­zelne von uns direkt ver­ant­wort­lich ist. Und diese Ver­ant­wor­tung fängt bei mir an.”

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Anne­liese Krich­baum. In Gedan­ken waren wir an die­sem Tage zugleich bei ihrem Ehe­mann. Er war seit Grün­dung der Margit-Horváth-Stiftung im Vor­stand unser wun­der­ba­rer Finanzchef.

 

Anne­liese Krich­baum, Vor­sit­zende des Hei­mat– und Muse­ums­ver­eins Mör­fel­den, sagt: Wir sind gegen jede Art von Vor­ur­tei­len und Hass­pa­ro­len. Diese zer­stö­ren nicht nur „die Ande­ren“, son­dern ebenso auch unser eige­nes Leben und unsere eige­nen Grund­werte. Auf­klä­rung fin­det ihre Basis nie­mals aus­schließ­lich in ein­zel­nen Reli­gio­nen, Völ­kern oder Natio­nen. Nur religions-, völ­ker– und natio­nen­über­grei­fend besteht Hoff­nung, dass Auf­klä­rung tat­säch­lich wir­ken kann … Ein fried­li­ches Mit­ein­an­der aller Men­schen kann nur gelin­gen, wenn wir gegen­sei­tig unsere Unter­schied­lich­kei­ten nicht nur tole­rie­ren, son­dern auch ach­ten und wertschätzen.

 

Amila spielt auf der Kla­ri­nette “Eve­ning in the vil­lage” von Béla Bartók.

 

Nun ver­las­sen alle den dich­te­ren Wald und gehen nach vorne zur Aus­gra­bungs­stelle des ehe­ma­li­gen Kel­lers unter der Küchen­ba­ra­cke.

Vier Frank­fur­ter Stu­den­tIn­nen der Poli­tik­wis­sen­schaft haben sich inten­siv mit der Geschichte der KZ Außen­stelle beschäf­tigt und aus vier eige­nen Tex­ten aus­zugs­weise eine Gesamt­col­lage ent­wi­ckelt: Aynur Caglar, Max Hen­nig, Vera Neu­ge­bauer und Tim Rühlig.

Aynur Caglar und hinter ihr Vera Neugebauer
Aynur Caglar

Aynur Cagla: Als ich zum ers­ten Mal zur KZ-Außenstelle kam, beschlich mich ein bedrü­cken­des Gefühl: Hoff­nung scheint end­los, doch was, wenn der Schein trügt?! Die Mör­der von unzäh­li­gen Hoff­nun­gen sind nicht Fremde, son­dern wir, die Men­schen, die nicht davor zurück­schre­cken bar­ba­risch zu han­deln. Gibt es Mensch­lich­keit, wenn wir zu sol­chen Gräu­eln fähig sind?

Vera Neu­ge­bauer: Ja, auch ich ver­schließe oft die Augen vor dem Elend der Welt und ich weiß: es ist falsch. Ich weiß, dass es nicht rich­tig ist, nicht zuzu­hö­ren, wenn ich von Unrecht höre; doch ich igno­riere – warum?

Tim Rüh­lig: Der Psy­cho­ana­ly­ti­ker Arno Gruen schreibt: „Wir sehen durch abs­trakte Ideen. Und das ändert, was wir sehen, wie wir es sehen. Wir ver­lie­ren Zugang zu dem, was empa­thisch wahr­ge­nom­men wird. Das aber sind die Gefühle.“ Als ich das las, spürte ich: Ich will mei­nen Gefüh­len ver­trauen, in mich hin­ein­hor­chen. Denn sonst ent­fremde ich mich – von mir, von mei­ner Umwelt, von dem, was das Leben ein­zig­ar­tig macht.

Max Hennig
Max Hen­nig

Max Hen­nig: Die Men­schen, die wäh­rend der NS-Zeit in Deutsch­land leb­ten, han­del­ten ver­ant­wor­tungs­los. Wir müs­sen ver­su­chen zu ergrün­den, warum sie das taten. Immer wie­der heißt es, Frei­heit und Ver­ant­wor­tung gehör­ten zusam­men. Aber ich meine, das greift zu kurz. Denn wir müs­sen uns fra­gen: Warum lie­ßen sie sich ihre Frei­heit neh­men, anders zu han­deln? Ich denke, darum muss es uns gehen, wenn wir etwas für uns ler­nen wollen.

Tim Rühlig
Tim Rüh­lig

Tim Rüh­lig: „Wer bin ich?“ Nur die ehr­li­che und bestän­dige Kon­fron­ta­tion mit mir selbst lässt mich Schmerz, aber auch Freude wahr­neh­men. Und gerade an die­sem Ort spüre ich, wie viel Gemein­sam­keit in Freude und Schmerz steckt: Hier habe ich wun­der­bare, enga­gierte Men­schen ken­nen­ge­lernt, mit ihnen gelacht und geweint. Ich glaube, aus all die­sen Erfah­run­gen ist eine Gemein­schaft ent­stan­den, die die Über­le­ben­den der KZ-Außenstelle und ihre Kin­der und Enkel genauso ein­schließt wie uns Deut­sche, die wir uns hier lokal enga­gie­ren, und junge Men­schen aus aller Welt. Diese viel­fäl­tige Gemein­sam­keit gibt Opti­mis­mus und Ener­gie, denn sie lebt aus dem auf­rich­ti­gem Wunsch zu ler­nen und mit­ein­an­der zu fühlen.

Vera Neu­ge­bauer: Die­ser Ort hier im Wald berührt mich, lässt mich emp­fin­den, weil ich von den Schick­sa­len ein­zel­ner Men­schen höre. Ich emp­finde wie­der. Und nur so kann ich auch etwas ver­än­dern. Die Main­zer Studentin

Clau­dia Köh­ler nahm bereits als 17-jährige Schü­le­rin (2005) an einem unse­rer inter­na­tio­nal work and study camps teil. Wenige Jahre spä­ter war sie eine unse­rer Tea­me­rin­nen für ein wei­te­res Camp. Der­zeit schreibt sie ihre Staats­ex­amens­ar­beit über die Geschichte die­ses Lagers.

"Hier erlebe ich immer wieder, dass ganz unterschiedliche Menschen zusammenkommen und wir alle viel voneinander lernen. Dafür möchte ich mich heute bei Allen, die dazu beigetragen haben, ganz herzlich bedanken."
“Hier erlebe ich immer wie­der, dass ganz unter­schied­li­che Men­schen zusam­men­kom­men und wir alle viel von­ein­an­der ler­nen. Dafür möchte ich mich heute bei Allen, die dazu beige­tra­gen haben, ganz herz­lich bedanken.”

Es ist schwer, die rich­ti­gen Worte zu fin­den, wenn ich ande­ren Men­schen über die­ses Lager erzähle. Es ist so Vie­les, was dabei gleich­zei­tig in mir steckt. Ich spre­che natür­lich von den 1700 Frauen aus Ungarn, die am Frank­fur­ter Flug­ha­fen arbei­ten muss­ten. Ich erzähle, wie schlimm der Hun­ger und die Kälte für die Frauen war, die Angst vor der Will­kür der SS, die Unge­wiss­heit über das Schick­sal der eige­nen Fami­lie… Gleich­zei­tig ist die­ses Lager aber nicht nur ein Ort, an dem ich immer wie­der von Neuem eine furcht­bare Wut ent­wickle ange­sichts des­sen, was hier geschah. Dies ist für mich zugleich ein Ort, an dem ich andere Schü­ler und Stu­den­ten so ganz anders ken­nen­lernte als in der Uni oder im Urlaub. Als ich zum ers­ten Mal mit 17 Jah­ren hier drei Wochen ver­brachte um den Küchen­kel­ler frei­zu­le­gen, war es son­der­bar für mich, an einem Ort des Schre­ckens gleich­zei­tig Freude zu emp­fin­den. Freude dar­über, gerade durch und mit die­ser Arbeit beson­ders tiefe Freund­schaf­ten ent­wi­ckeln zu kön­nen. Wir haben damals viel zusam­men geweint und wir haben zusam­men gelacht. Es hat lange gedau­ert, bis ich mit die­ser Gleich­zei­tig­keit umge­hen konnte. Dies hat Vie­les in mir auf­ge­wühlt; heute weiß ich ihn umso mehr zu schät­zen. Ich habe viel dar­aus gelernt. Heute sage ich, ich habe noch immer Wut und auch Ohn­macht in mir wegen all dem, was hier gesche­hen ist. Zugleich aber kann ich sagen: Ich komme sehr gerne gerade hier­her nach Wall­dorf. Denn hier erlebe ich immer wie­der, wie viele ganz unter­schied­li­che Men­schen immer wie­der hier zusam­men kom­men — ob die Stadt­ver­wal­tung, die Stif­tung, Fra­port oder die ijgd, enga­gierte Ein­zelne oder ganze Grup­pen – die zahl­lo­sen gro­ßen und klei­nen Hil­fen, ange­fan­gen von lecke­ren Kuchen bis hin zur Geld­spende – sie machen die­sen Ort für mich zu einem Bei­spiel dafür, dass Men­schen Ver­ant­wor­tung über­neh­men und sich mit ihrer eige­nen Geschichte gemein­sam aus­ein­an­der­set­zen. Ich bin sehr froh, die­sen beson­de­ren Ort hier ken­nen­ge­lernt zu haben, mit mei­nen eige­nen Hän­den hier mit aus­ge­gra­ben zu haben. Dass dies mög­lich war, dafür möchte ich mich heute von gan­zem Her­zen bei Ihnen bedanken!

"Als wir vor über 40 Jahren auf einer Karte in der Gedenkstätte des KZ Buchenwald den Namen unserer eigenen Heimatgemeinde entdeckten ..."
“Als wir vor über 40 Jah­ren auf einer Karte in der Gedenk­stätte des KZ Buchen­wald den Namen unse­rer eige­nen Hei­mat­ge­meinde entdeckten …”

Her­bert J. Oswald (“Jossy”) spricht im Namen der drei Jugend­li­chen, die 1972 das Wall­dor­fer Lager wie­der­ent­deck­ten. Als wir, Alfred J. Arndt, Gerd Schul­meyer und ich — wäh­rend  einer Jugend­de­le­ga­tion der Deut­schen Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei (DKP) — vor über 40 Jah­ren vor der gro­ßen Lager­karte im ehe­ma­li­gen KZ  Buchen­wald stan­den und dar­auf “Wall­dorf” ent­deck­ten, wun­der­ten wir uns. Es war für uns schnell klar, dass wir die Geschichte die­ses Lagers auf­de­cken, erfor­schen und den Opfern einen Gedenk­stein als sicht­ba­res Zei­chen gegen den Faschis­mus set­zen woll­ten. Das war damals nicht ein­fach und auch nicht ohne Hin­der­nisse und Kos­ten. Doch wir konn­ten nach­wei­sen: Die kom­plet­ten Lager­lis­ten der Häft­linge, die der Selek­tion von Dr. Men­gele in Auschwitz-Birkenau ent­ka­men, die täg­li­chen Kran­ken­stände und Arbeits­scheine, die Pro­fi­teure der Firma Züb­lin und die Nutz­nie­ßer, der Flug­ha­fen Frank­furt, der damals ein­ge­bet­tet war in die Kriegs­ma­schi­ne­rie jener Zeit. Wir fan­den die Grä­ber der Toten in Offen­bach auf dem Fried­hof und wir tra­fen Über­le­bende aus Ungarn und Israel. Wir ver­öf­fent­lich­ten die Ergeb­nisse in unse­rer Bro­schüre “Spu­ren des Ter­rors” . Die Kom­mu­nis­ten Peter Pas­set und Peter Gin­gold kamen darin genauso zu Wort, wie der Schrift­stel­ler Peter Härt­ling aus Wall­dorf. 1980 wurde, auf Antrag der DKP, ein Gedenk­stein hier am ehe­ma­li­gen KZ-Außenlager Wall­dorf durch den Bür­ger­meis­ter ein­ge­weiht. Seit­her sind fast 35 Jahre ver­gan­gen; die For­schun­gen gin­gen wei­ter. Heute wird ein wei­te­rer wich­ti­ger Gedenk­ort geschaf­fen. Nie hät­ten wir gedacht, dass hier ein­mal ein his­to­ri­scher Lehr­pfad, hun­derte Füh­run­gen, dut­zende Aus­gra­bun­gen, inter­na­tio­nale Work­shops, der Film “Die Roll­bahn”, Home­pages, die Margit-Horváth-Stiftung und vie­les mehr ent­ste­hen würde — und alles immer wie­der unter der Mit­wir­kung jun­ger Men­schen. Dies ist eine hoff­nungs­volle Ent­wick­lung, über die wir sehr froh sind. 70 Jahre nach der Exis­tenz die­ses grau­en­vol­len Lagers wird jetzt auf dem ehe­ma­li­gen Küchen– und Fol­ter­kel­ler eine Gedenk­stätte und zugleich ein Semi­nar­raum ent­ste­hen. Das ist eine wei­tere Ehrung der Opfer jener Zeit und mahnt uns: “Der Schoß ist frucht­bar noch aus dem das kroch!” (Bert Brecht) - Wir wer­den wach­sam bleiben!

"Ich habe gelernt, dass zur Heilung der seelenwunden das Aussprechen der in unserem Kopf und Herz zurückgedrängten gedanken für die erste , zweite und dritte Generation auf beiden Seiten (Sie und mich inbegriffen) eine große Hilfe sein kann ..."
“Ich habe gelernt, dass zur Hei­lung der See­len­wun­den das Aus­spre­chen der in unse­rem Kopf und Herz zurück­ge­dräng­ten gedan­ken für die erste , zweite und dritte Gene­ra­tion auf bei­den Sei­ten (Sie und mich inbe­grif­fen) eine große Hilfe sein kann …”

  Klara Strompf, unga­ri­sche Jüdin, die inzwi­schen schon fast 30 Jahre in Wall­dorf lebt — unge­wollt in der Nähe der ehem. KZ Außen­stelle Wall­dorf, in der eine ihrer Freun­din­nen, Mar­git Hor­váth, 1944 inhaf­tiert war.  Ich bin mit mei­ner Fami­lie am 15. Novem­ber 1985 aus Ungarn nach Wall­dorf gekom­men, um einen Job bei einer 5* Hotel­kette für einige Jahre anzu­tre­ten. Mein Vater wollte auf­grund unse­rer Fami­li­en­ge­schichte nicht, dass ich nach Deutsch­land gehe. Er hat uns dann 2 Jahre spä­ter für immer ver­las­sen. Ich konnte das und vie­les andere see­lisch über­haupt nicht ver­ar­bei­ten und ein Jahr spä­ter wurde ich fast unheil­bar krank. Das dau­erte wie­der einige Jahre. Dazu kam noch, dass ich durch Gábor Gold­man und seine Mut­ter Mar­git Hor­váth erfuhr, dass wenige 100 Meter von mir 1944 ein KZ stand, in dem 1.700 ungarisch-jüdische Frauen inhaf­tiert waren. Ich sah zwei Wege vor mir und dachte: Ent­we­der muss ich ster­ben oder aber nicht so ein­fach auf­ge­ben, son­dern mich durch die­ses Pro­jekt auch mit mei­ner eige­nen Ver­gan­gen­heit aus­ein­an­der­set­zen. Sicher­lich habe ich hier noch eine bestimmte Auf­gabe zu erle­di­gen! So wur­den meine Wege durch die “dunkle Geschichte” per Zufall mit Cor­ne­lia Rüh­ligs Wegen zusam­men­ge­führt. Zwei Frauen im ähn­li­chen Alter, aber mit völ­lig ver­schie­de­nen Fami­li­en­ge­schich­ten und ganz ande­rem his­to­ri­schen Hin­ter­grund — trotz­dem hat es geklappt. Ich musste einen sehr lan­gen Weg gehen, um zu der “Brü­cken­baue­rin” zu wer­den, die ich heute bin. Die­sen Weg musste ich zwar alleine gehen, aber viele Men­schen aus Wall­dorf  haben dabei eine sehr große Rolle gespielt. Wir haben gelernt, wie man Berüh­rungs­ängste gegen­sei­tig abbauen kann. Lang­sam, lang­sam wurde ich auch von vie­len ande­ren lie­ben Men­schen, aber auch den Reprä­sen­tan­ten der Stadt Mörfelden-Walldorf und Frank­furt oder der Fra­port AG über­zeugt, dass es sich lohnt, jede Menge Ener­gie und Emo­tio­nen zu inves­tie­ren, um Juden und Deut­sche — auch jüdi­sche Deut­sche, jüdi­sche und nicht­jü­di­sche Ungarn, Nach­kom­men von Tätern und Opfern, an einen gemein­sa­men Tisch zu Gesprä­chen zusam­men­zu­brin­gen. Ich habe auf die­sem Weg gelernt, dass zur Hei­lung der See­len­wun­den das Aus­spre­chen der in unse­rem Kopf und Herz zurück­ge­dräng­ten Gedan­ken für die erste (die über­le­bende), aber auch für die zweite und dritte Gene­ra­tion auf bei­den Sei­ten (Sie und mich inbe­grif­fen) eine große Hilfe sein kann … für alle also, die bereit sind, Gesprä­che mit ande­ren Men­schen zu begin­nen. Heute weiß ich, dass dies der ein­zige Weg ist, dass wir unsere schmerz­hafte gemein­same Geschichte im Inter­esse einer gegen­sei­ti­gen nach­hal­ti­gen men­ta­len Gesund­heit auf­ar­bei­ten müs­sen. Da führt kein ande­rer Weg daran vorbei.

Und übri­gens: Inzwi­schen bin ich deut­sche Staats­bür­ge­rin gewor­den. Das hätte ich 1985, als ich hier­her kam, nie­mals gedacht.

 

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Ihre Großmutter Goldi war als 15-Jährige im Walldorfer Lager inhaftiert. Sie kam drei Wochen hierher, um den Keller, in dem die SS furchtbar geprügelt hatte, nun mit ihren eigenen Händen auszugraben. Anschließend schrieb die junge Israelin, Tal Segev: „Die Erin­ne­rung an den Holo­caust wird nicht mit denen ster­ben, die ihn überlebt haben ..." (Fortsetzung s. nächstes Foto)
Tal Segev kam aus Israel drei Wochen hier­her, um an einem inter­na­tio­na­len Camp teil­zu­neh­men. Ihre Groß­mut­ter Goldi war als 15-Jährige im Wall­dor­fer Lager inhaf­tiert. 60 Jahre spä­ter schau­felt Tal den Kel­ler wie­der frei, in dem die SS 1944 die Groß­mut­ter furcht­bar geprü­gelt hatte. Anschlie­ßend schreibt Tal: „Die Erin­ne­rung an den Holo­caust wird nicht mit denen ster­ben, die ihn über­lebt haben …”

(Fort­set­zung s. nächs­tes Foto)
Elke Cezanne HV  DSC_0060
“… Die Erin­ne­rung an den Holo­caust wird in den nächs­ten Gene­ra­tio­nen wei­ter­le­ben …”

(Forts. s. nächs­tes Foto)
"... Doch es liegt an uns Allen gemein­sam, sicherzu­stel­len, dass der Holo­caust sich nie­mals wie­der­ho­len wird. ..." (Forts. s. nächstes Foto)
“… Doch es liegt an uns Allen gemein­sam, sicherzu­stel­len, dass der Holo­caust sich nie­mals wie­der­ho­len wird. …”

(Forts. s. nächs­tes Foto)
Mittelalter HV  DSC_0107
Tal fährt fort: “ … Es liegt an uns, gegen Unter­drü­ckung und Tyran­nei, gegen Hass und Gewalt zu kämp­fen …”

(Forts. s. nächs­tes Foto)
Jugendlicher HV  DSC_0073
“… Ich glaube, dass es unsere gemein­same Ver­ant­wor­tung ist, für eine bes­sere Zukunft zu sor­gen …”

(Forts. s. nächs­tes Foto)
Manfred Schmidt Rüsselsh.  HV  DSC_0064
“… Ich glaube, dass es unsere gemein­same Ver­ant­wor­tung ist, andere zu erzie­hen und sicher­zu­stellen …”

(Forts. s. nächs­tes Foto)
Schülerin  HV  DSC_0039
“… dass die Men­schen nicht verges­sen, dass so viel unschul­di­ges Leben genom­men und zer­stört wurde.“ 

Zitat von Tal Segev, Enke­lin einer unga­ri­schen Jüdin, die hier im Lager inhaf­tiert war.

 

Margit Berger war mit ihrer 14-jährigen Tochter Klara im Walldorfer Lager inhaftiert.
Mar­git Ber­ger war mit ihrer 14-jährigen Toch­ter Klara im Wall­dor­fer Lager inhaf­tiert. Die stammt — ebenso wie Magda Hol­lan­der (s.u.) — aus Nyíregyháza.

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xyxyxy mit Rosen

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Herbert debus

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Gerd Schulmeyer
ccccccccGabor und Frau höher KS  2014-11-23 15.27.41

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KS 2014-11-23 15.19.32

Magda Hollander-Lafon war als 15-Jährige im Walldorfer Lager inhaftiert; diese Aufnahme stammt ca. von 1950. Sie ist die einzige ihrer Familie, die überlebte.
Magda Hollander-Lafon war als 15-Jährige im Wall­dor­fer Lager inhaf­tiert; diese Auf­nahme stammt ca. von 1950. Sie ist die ein­zige ihrer Fami­lie, die überlebte.