Myan­mar: Pro­test gegen den Mili­tär­putsch und zwei kleine Epi­so­den aus der lan­gen Geschichte der Unter­drü­ckung in die­sem Land

“Respek­tiert unsere Wahl!” — Mas­sen­de­mons­tra­tion in Myan­mar wenige Tage nach der Wahl und dem anschlie­ßen­den Putsch des Mili­tärs, Februar 2021

„In Myan­mar haben die Sicher­heits­kräfte bei neuen Pro­tes­ten gegen die Mili­tär­junta min­des­tens fünf Men­schen getö­tet“„Hun­dert­tau­sende auf den Stra­ßen von Myan­mar“„Die Pro­test­be­we­gung ant­wor­tet auf die War­nun­gen des Mili­tärs mit Gene­ral­streik“ … Mel­dun­gen wie diese hören wir zur­zeit fast täg­lich in den Medien.

Wir sehen auf den Trans­pa­ren­ten die enorm große Unter­stüt­zung für die im Novem­ber 2020 mit abso­lu­ter Mehr­heit wie­der­ge­wählte Prä­si­den­tin Aung San Suu Kyi. Sie steht für den Pro­zess der Demo­kra­ti­sie­rung, der 2010 begann und 2015 zur abso­lu­ten Mehr­heit ihrer Par­tei führte. Wei­ter­hin gab es erheb­li­che Ein­schrän­kun­gen der Mei­nungs– und Pres­se­frei­heit, regie­rungs­kri­ti­sche Jour­na­lis­ten wur­den ver­haf­tet, doch eine Bewe­gung hin zur Demo­kra­ti­sie­rung war in Gang gesetzt.

Demons­tra­tion in Man­da­lay mit dem Trans­pa­rent für Aung San Suu Kyi: “Save our lea­der — Future — Hope”

Wir wis­sen, dass die cha­ris­ma­ti­sche und über­aus hoff­nungs­volle Frie­dens­no­bel­preis­trä­ge­rin von 1991 in den letz­ten Jah­ren zum Völ­ker­mord an den Rohin­gya (2015/17) in ihrem Land schwieg. Das Nobel­ko­mi­tee beriet sogar dar­über, ihr den Nobel­preis wie­der abzu­er­ken­nen. Amnesty Inter­na­tio­nal voll­zog die­sen Schritt und sprach ihr im Novem­ber 2018 den Ehren­ti­tel „Bot­schaf­ter des Gewis­sens“ wie­der ab. Den­noch ist Aung San Suu Kyi in der Bevöl­ke­rung wie eine Per­so­ni­fi­zie­rung ihrer Hoff­nung auf einen Demo­kra­ti­sie­rungs­pro­zess in Myan­mar mit freien Wah­len, Mei­nungs– und Pres­se­frei­heit. Die Wut rich­tet sich gegen den Mili­tär­putsch, die Ver­haf­tun­gen, die Nicht­an­er­ken­nung des Wahl­er­geb­nis­ses und den Haus­ar­rest, unter dem nun Aung San Suu Kyi erneut steht.

Wir akzep­tie­ren den Mili­tär­putsch nicht! — Mas­sen­de­mons­tra­tion Mitte Februar 2021

Schauspieler*innen, Musiker*innen, Küstler*innen, Schriftsteller*innen sind auf den Stra­ßen und erhe­ben in viel­fäl­ti­ger Weise ihre Stimme. Kri­ti­sche Jour­na­lis­ten wie z.B. Mratt Kyaw Thu wer­den inhaftiert.

Myan­mar ist etwa dop­pelt so groß wie Deutsch­land und hat unge­fähr die Hälfte unse­rer Ein­woh­ner­zahl. Es ist ein Viel­völ­ker­staat mit 135 ver­schie­de­nen Eth­nien; fast 90% sind Bud­dhis­ten, 4% Mos­lems (Rohin­gya) und 6% Chris­ten. Myan­mar hat eine lange Geschichte der Unter­drü­ckung von Mei­nungs– und Rede­frei­heit. Für eth­ni­sche und reli­giöse Min­der­hei­ten bedeu­tete dies immer eine dop­pelte Bedro­hung. So muss­ten Chris­ten z.B. zeit­weise in Lagern für Bin­nen­flücht­linge woh­nen und hat­ten nur begrenz­ten Zugang zu Lebens­mit­teln und medi­zi­ni­scher Versorgung.


Was dies für den Ein­zel­nen bedeu­tet, wie auch das gespro­chene Wort über­wacht wird, wie sich Bedro­hung und Angst förm­lich in die Men­schen ein­gra­ben, erlebt Donata Elschen­broich bei ihrem Besuch in die­sem Land:

Die Region im Nor­den von Myan­mar, in der Paing kui lebt.

Paing kui. Pfar­rer in der Min­der­heit der Chin im Nor­den von Myan­mar. Zu sei­nem Dorf in den Ber­gen führte keine Straße. Von der nächst­ge­le­ge­nen Stadt Kan­pet­let erreichte man das Dorf in zwei Tageswanderungen.

Die Dorf­be­woh­ner tru­gen von jeher das Pflanz­gut und die Werk­zeuge auf dem Rücken über die Berge.

Irgend­wann hat­ten sie im Dorf auf seine Initia­tive hin beschlos­sen, selbst eine Straße zu bauen. Im Jahr 2012 führte diese Straße end­lich in die Klein­stadt. Ein Weg, befahr­bar wenigs­tens für Motorräder.

Und nach­dem das Land Myan­mar in die­sem Jahr nach einer zag­haf­ten Demo­kra­ti­sie­rung, nach ers­ten Kom­pro­mis­sen mit dem Mili­tär, nach jahr­zehn­te­lan­ger Repres­sion durch die Zen­tral­re­gie­rung, sich zu öff­nen schien, waren wir ange­reist mit der Kamera um die­sen Wege­bau zu dokumentieren.

Bau zumin­dest einer klei­nen Straße für Motor­rä­der, um zum Dorf zu kommen.

Erst­mals konnte man als Ange­hö­ri­ger der Min­der­heit der Chin nun einen Per­so­nal­aus­weis erhal­ten. Bis dahin hat­ten die mar­gi­na­li­sier­ten eth­ni­schen Grup­pen in Myan­mar ihre Regio­nen nicht ver­las­sen dürfen.

Paing kui kam nach Yan­gon um uns abzu­ho­len. Drei Tage brauchte er für die Anreise.

Ein Tref­fen im Hotel.

Was war los mit Paing kui?

So ein­sil­big kannte ich ihn nicht. War er erschöpft von der Reise?

Er blickte immer wie­der zur Seite, sein Blick glitt über die Wände des Hotelfoyers.

Man wusste bis in die ent­fern­tes­ten Berg­re­gio­nen von Myanmar: 

In der jahr­zehn­te­lan­gen Haupt­stadt steckt Unsicht­ba­res in den Wänden.

Dort wird das gespro­chene Wort mitgehört.  

Ein wei­te­res Beispiel:

Thaung si nach dem Sonn­tags­got­tes­dienst im Theo­lo­gi­schen Semi­nar bei Mandalay

Thaung si, Ange­hö­ri­ger der Lisu, einer christ­li­chen Min­der­heit. Ein Land­wirt­schafts­leh­rer in einem Theo­lo­gi­schen Semi­nar außer­halb von Man­da­lay, im Nor­den von Myanmar. 

2012 schien auch hier ein Neu­an­fang zu sein. Opti­mis­ti­sche Auf­bruch­stim­mung unter den etwa hun­dert Stu­den­tin­nen und Stu­den­ten. Tem­pe­ra­ment­vol­les Hin und Her beim Essen, bei der Feld­ar­beit. Und ihr Chor­ge­sang! Klang­voll, begeis­tert viel­stim­mig (Hän­del, Messias).

Dann aber in den Klas­sen­räu­men: von einem Augen­blick zum nächs­ten, wur­den sie andere. Ver­hal­ten. Blick­ten unter sich. Unbe­hag­li­che Pau­sen vor zag­haf­ten Antworten.

Thaung si erzählte: Bis vor weni­gen Mona­ten hatte noch in jeder sei­ner Unter­richt­stun­den hin­ter ihm gestan­den ein Wach­sol­dat der bur­me­si­schen Armee. Das Gewehr im Anschlag. Hätte der christ­li­che Land­wirt­schafts­leh­rer Thaung si Kri­ti­sches über die bur­me­si­sche Regie­rung gelehrt, der Sol­dat hätte auf ihn schie­ßen müssen.

Thaung si mit sei­nen bei­den Kin­dern, die stolz einige Enten­eier zei­gen, 2013

Dazu war es nie gekommen.

Die Wach­sol­da­ten hat­ten ihren Dienst getan, ihre Prä­senz gezeigt, mehr nicht. Junge Män­ner, oft freundlich.

Aber ihr Auf­trag, ihre Anwe­sen­heit, ihre Waffe, war allen selbst­ver­ständ­lich gewor­den. Für den Leh­rer, für die künf­ti­gen Pfar­rer und für die Sol­da­ten selbst, die Bewa­cher des gespro­che­nen Worts.

2011 hatte ein Reform­pro­zess in Myan­mar begon­nen. Jetzt, nach dem Mili­tär­putsch am 1. Februar 2021 wurde die Presse– und Mei­nungs­frei­heit in Myan­mar in weni­gen Tagen wie­der um zehn Jahre zurückgeworfen.

 

Poli­zei­ein­satz gegen Demons­tran­ten in Yan­gon, Februar 2021

 

Demons­tra­tio­nen, Pro­test und Streiks gibt es nicht nur in den grö­ße­ren Städ­ten von Myan­mar, son­dern ebenso im länd­li­chen Nor­den wie hier in Myitkyina.

 

 

Nay Pyi Taw ist seit 2005 Haupt­stadt von Myan­mar. Das moderne Indus­trie– und Kul­tur­zen­trum ist aber wei­ter­hin Yan­gon; von dort sind es ca. 650 km nach Mandalay.

 

 

 

 

 

 

 

Mit Nach­barn vor Paing kuis Haus

 

 

 

Thaung si wäh­rend einer öko­lo­gisch land­wirt­schaft­li­chen Aus­bil­dung in Japan.

 

In Kan­pet­let, 2012

 

 

 

Jahr­zehn­te­lang hat das Mili­tär die Bevöl­ke­rung von Myan­mar unter­drückt und Dör­fer und Kul­tur von eth­ni­schen und reli­giö­sen Min­der­hei­ten zer­stört. Die in die­sem Buch gesam­mel­ten Zeit­zeu­gen­be­richte konn­ten zunächst nur im eng­lisch­spra­chi­gen Aus­land erschei­nen. Erst 2016 war eine Über­set­zung und Ver­öf­fent­li­chung in Myan­mar möglich.