Meşale Tolu Çorlu – eine deut­sche Jour­na­lis­tin, ver­haf­tet in der Tür­kei und dort acht Monate in Unter­su­chungs­haft gefan­gen gehal­ten. Ihr Pro­zess wird immer wie­der verschoben.

Meşale Tolu Çorlu

Die Ver­haf­tung
Am 30. April 1917 wird Meşale Tolu in ihrer Istan­bu­ler Woh­nung um 4.30 Uhr aus dem Schlaf geris­sen. Sie ist dort allein mit ihrem 28 Monate alten Sohn Ser­kan. Eine Spe­zi­al­ein­heit der Poli­zei, mas­kiert und mit Maschi­nen­pis­to­len bewaff­net, stürmt ihre Woh­nung.
Meşale Tolu schreibt in ihrem Buch „Mein Sohn bleibt bei mir“ über ihre Verhaftung:

„… Vom Haus­flur dran­gen Lärm und laute Stim­men zu mir, Tritte und dumpfe Schläge. Ein Kra­chen, wie­der ein Kra­chen. Als wollte jemand unsere Türe auf­bre­chen. Jetzt hörte ich Män­ner­stim­men brül­len: „Poli­zei! Mach die Türe auf! Mach auf!“ Ich sprang aus dem Bett, lief in den Flur und rief: „Ich mach‘ ja auf, schreien Sie nicht so, es ist ein klei­nes Kind in der Woh­nung!“ Dann schob ich den Rie­gel zurück. Im sel­ben Moment krachte die Tür auf, ich sprang unwill­kür­lich zur Seite, um nicht ver­letzt zu wer­den. Dun­kel geklei­dete Män­ner mit schwar­zen Mas­ken vor dem Gesicht scho­ben sich in den Flur, zwei rich­te­ten ihre Maschi­nen­ge­wehre auf mich. Die Ziellam­pen an ihren Geweh­ren blen­de­ten in der Dun­kel­heit meine Augen. Ich erkannte nur die Waf­fen. Sie drück­ten mich zu Boden und einer setzte mir sein Knie in den Rücken, um mich zu fixie­ren. „Nein!“, schrie ich, als die Män­ner in die Zim­mer unse­rer Woh­nung stürm­ten, „nicht dort hin­ein, da schläft mein Sohn! Bitte las­sen Sie mei­nen Sohn in Ruhe!“ Aber schon dräng­ten meh­rere Män­ner mit hoch geris­se­nen Maschi­nen­ge­weh­ren in unser Schlaf­zim­mer. „Mama, Mama, Mama!“, hörte ich Serkans Hilferufe.

Das Buch von Meşale Tolu

Sein Schreien, sein Wei­nen waren so vol­ler Angst und Panik, wie ich es noch nie gehört hatte. Kein Wun­der! Er war nicht nur bru­tal aus dem Schlaf geris­sen wor­den, er war völ­lig allein, ich war nicht an sei­ner Seite und um ihn stan­den furcht­ein­flö­ßende mas­kierte Män­ner mit Geweh­ren. „Las­sen Sie mich zu mei­nem Sohn! Sie hören doch, wel­che Angst er hat! Ich bin alleine mit ihm, es ist sonst nie­mand da!“, rief ich. „Wo ist denn dein Ehe­mann?“, erhielt ich höh­nisch zur Ant­wort. Wütend schrie ich: „Ihr habt ihn doch fest­ge­nom­men. Was wollt ihr denn noch?“ Statt einer Ant­wort schlug ein Mas­kier­ter mei­nen Kopf auf den Boden. Dann knurrte er: „Schrei´ uns nicht an. Hast du ver­stan­den? Schrei´ uns nie­mals an!“ Sein Kum­pan drückte sein Knie noch fes­ter in mei­nen Rücken. In die­sem Moment rannte Ser­kan aus dem Zim­mer auf dem Flur. Schluch­zend stürzte er direkt auf mich zu. Was hat er gedacht, als er mich so am Boden lie­gen sah und die­sen mas­kier­ten Mann mit sei­nem Knie auf mei­nem Rücken? Ser­kan zit­terte am gan­zen Leib, er ver­suchte zu spre­chen, aber brachte kei­nen Ton her­aus. Er schluchzte und weinte nur, als er sich zu mir hin­un­ter­beugte.”

Meşa­les Bit­ten sind ver­geb­lich. Die Woh­nung wird ver­wüs­tet bei der Suche nach Beweis­ma­te­rial für even­tu­elle Anschul­di­gun­gen. Ein Nach­bar wird befragt, er soll bezeu­gen, dass in der Woh­nung kon­spi­ra­tive Tref­fen statt­ge­fun­den hät­ten. Der Nach­bar ver­neint und ver­si­chert, dass neben ihm eine ganz nor­male Fami­lie wohne. Die Poli­zis­ten ver­haf­ten Meşale und erlau­ben ihr nur noch, Klei­dung für einige Tage ein­zu­pa­cken. Sie darf ihren Sohn nicht mehr anklei­den, sie muss ihn wei­nend beim Nach­barn zurück­las­sen und bit­tet die­sen, ihren Vater und ihre Schwes­ter zu benach­rich­ti­gen. So wird sie ins Poli­zei­ge­fäng­nis gebracht.

Was war gesche­hen?
Meşale Tolu ist eine deut­sche Jour­na­lis­tin und Über­set­ze­rin mit kur­di­schen Wur­zeln. In Deutsch­land (Ulm) auf­ge­wach­sen, nach einem Spa­nisch– und Ethik-Studium an der Frank­fur­ter Goethe-Universität, begann sie 2014 monate­weise auch in der Tür­kei als Jour­na­lis­tin für den pri­va­ten Radio­sen­der Özgür Radyo zu arbei­ten und machte Über­set­zun­gen für die linke Nach­rich­ten­agen­tur ETHA. 2007 hatte sie die deut­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit ange­nom­men und die tür­ki­sche abge­ge­ben. Da sie deutsch­spra­chig auf­ge­wach­sen war, musste sie ihre Kennt­nisse der tür­ki­schen Spra­che erst noch ver­voll­stän­di­gen, bevor sie in der Tür­kei arbei­ten konnte.
Ihr Mann Suat Çorlu war drei Wochen vor ihr bei sei­nem Auf­ent­halt in Ankara ver­haf­tet wor­den. Er hatte dort in der Zen­tra­len Wahl­kom­mis­sion der HDP (Hal­kların Demo­kra­tik Par­tisi — Demo­kra­ti­sche Par­tei der Völ­ker) gear­bei­tet.
Die Vor­würfe gegen Meşale Tolu wur­den zum Teil nicht ein­mal ihren Anwäl­ten mit­ge­teilt, da die Akte einen „Geheim­hal­tungs­be­fehl“ ent­hielt. Eine Benach­rich­ti­gung der deut­schen kon­su­la­ri­schen Ver­tre­tung unter­blieb, was ein Ver­stoß gegen das Völ­ker­recht ist. Es blieb nicht der ein­zige Verstoß.

Die Fol­gen des Putsch­ver­su­ches von 2016
In der Tür­kei begann nach dem Putsch­ver­such vom 15./16. Juli 2016 eine Ver­haf­tungs­welle u.a. gegen Jour­na­lis­tIn­nen, Auto­rIn­nen und Leh­re­rIn­nen. Im Novem­ber 2016 geriet die Oppo­si­tion ins Visier der Staats­macht. Die HDP (als Par­tei für Min­der­hei­ten­rechte, ins­be­son­dere für die Rechte der kur­di­schen Min­der­heit) hatte 2015 mit 80 von 550 Abge­ord­ne­ten­sit­zen einen gro­ßen Erfolg erlangt.

Pro­test­ak­tion gegen den Mas­sen­pro­zess, mit dem der pro­kur­di­schen HDP in der Tür­kei das Ver­bot droht, April 2021.

Im Jahr 2017 stand das Refe­ren­dum zur Ein­füh­rung eines Prä­si­di­al­sys­tems an, mit dem Prä­si­dent Recep Tay­yip Erdoğan umfas­sende Macht an der Spitze von Staat und Regie­rung erlan­gen wollte — und schließ­lich auch erlangte. Die Oppo­si­ti­ons­füh­rer Selahat­tin Demir­taş und Figen Yük­sek­dağ wur­den ver­haf­tet und befin­den sich nach wie vor im Gefäng­nis. Die poli­ti­sche Ver­fol­gung wird wei­ter betrie­ben. Im April die­sen Jah­res begann der Pro­zess gegen 108 Abge­ord­nete und Mit­glie­der der HDP.

Im Gefäng­nis
In der Zelle des Poli­zei­prä­si­di­ums trifft Meşale andere Frauen, die aus poli­ti­schen Grün­den ver­haf­tet wur­den. Die Soli­da­ri­tät gibt ihr Kraft beim Hun­ger­streik und auch gegen den Psy­cho­ter­ror bei unrecht­mä­ßi­gen Ver­hö­ren. Ihr wird gedroht, dass sie auch bei einer Frei­las­sung mit Ver­fol­gung rech­nen müsse: „Sie hät­ten ansons­ten ihre Mit­tel.“ Als Grund für die Inhaf­tie­rung führt der Staats­an­walt an, man habe ver­hin­dern wol­len, dass die Frauen mit Molo­tow­cock­tails und schwe­ren Waf­fen am 1. Mai auf dem Tak­sim­platz demons­trie­ren und Unruhe stif­ten. Am 1. Mai kommt es immer wie­der zu Ver­haf­tun­gen, weil sich Men­schen nicht an das Demons­tra­ti­ons­ver­bot hal­ten und an das Mas­sa­ker von 1977 erin­nern, bei dem 34 Men­schen von unbe­kann­ten Scharf­schüt­zen erschos­sen wur­den oder im Gedränge zu Tode kamen.
Nach eini­gen Tagen fin­det eine Anhö­rung statt, bei der Meşale erst­ma­lig von den Anschul­di­gun­gen erfährt: Ihr wird die Teil­nahme an vier Gedenk­fei­ern und Demons­tra­tio­nen vor­ge­wor­fen. Diese Ver­an­stal­tun­gen waren voll­kom­men legal, jede/r hätte daran teil­neh­men kön­nen. Außer­dem wurde ihr die Mit­glied­schaft in einer ter­ro­ris­ti­schen Ver­ei­ni­gung, der MLKP vor­ge­wor­fen, belegt durch einen anony­men Zeugen.

Frau­en­ge­fäng­nis Bakırköy

Sie wird schließ­lich in das Frau­en­ge­fäng­nis Bakır­köy in die Zelle B6 für poli­ti­sche Häft­linge ver­legt. Hier befin­det sie sich in einer gro­ßen Gemein­schafts­zelle mit mehr als 20 inhaf­tier­ten Frauen. Es sind Frauen dar­un­ter, die schon seit über 20 Jah­ren im Gefäng­nis sind, andere sind nur für kurze Zeit dort. Neben der Gemein­schafts­zelle gibt es „mai­so­net­te­ar­tig“ ange­legte kleine Schlaf­zel­len, die jeweils mit zwei Frauen belegt sind. Eine große Soli­da­ri­täts­ge­mein­schaft emp­fängt Meşale. Sie wird regel­recht umsorgt von den ande­ren Frauen, um die erste schwere Zeit im Gefäng­nis bes­ser zu ver­kraf­ten. Mit viel Ein­falls­reich­tum wird der Tag in der kar­gen Anstalt gestal­tet. So zeigt ihr z.B. ihre Zel­len­ge­nos­sin, wie sie an dem klei­nen Wasch­be­cken mit­hilfe einer Plas­tik­fla­sche duschen kann. Das Loch, das mit einem Feu­er­zeug in die Fla­sche gebrannt wurde, lei­tet den Was­ser­strahl über den Wasch­be­cken­rand und dann kann sie sich dar­un­ter kau­ern, um ihre Haare zu waschen.
Meşale macht sich große Sor­gen um ihren Sohn. Lange kann sie nichts über ihre Fami­lie erfah­ren. Als sie schließ­lich hört, dass es Ser­kan sehr schlecht geht, er kaum redet, stot­tert und wütend ist, beschließt sie, ihn zu sich zu holen. Sie hatte vor­her im Gefäng­nis lachende Kin­der erlebt, so dass sie die­sen Schritt wagte. Die Frauen ihrer Zelle unter­stüt­zen sie nach Kräf­ten. Trotz­dem ist das Leben im Gefäng­nis für Ser­kan sehr ein­schrän­kend. Er darf nur wenig Spiel­zeug haben, der Hof ist hart und ohne Spiel­mög­lich­kei­ten für ein klei­nes Kind. Zwei­mal darf er sei­nen Vater im Gefäng­nis in Sili­vri besu­chen. Nach fünf Mona­ten im Gefäng­nis sehnt sich Ser­kan nach der Frei­heit und ver­lässt das Gefäng­nis, um mit sei­nem Opa und sei­ner Tante nach Deutsch­land zu flie­gen. Sosehr Meşale ihren Sohn ver­misst, sosehr ver­steht sie ihn auch.

Frei­heit für Meşale Tolu
Inzwi­schen hatte sich eine breite Unter­stüt­zungs­be­we­gung für Meşale Tolu gebil­det. Freun­dIn­nen und Unter­stüt­ze­rIn­nen demons­trier­ten jeden Frei­tag für ihre Freilassung.

Pres­se­be­richte, Demons­tra­tio­nen und Mahn­wa­chen, Soli­da­ri­täts­be­kun­dun­gen von Leh­re­rIn­nen und Mit­schü­le­rIn­nen ihres Ulmer Gym­na­si­ums, Peti­tio­nen und Auto­kor­sos fan­den statt. Vie­les erfuhr Meşale erst, als schließ­lich eine Ver­tre­tung des deut­schen Gene­ral­kon­su­lats in Istan­bul eine Besuchs­er­laub­nis bekam (bis dahin waren aber schon zwei Monate ver­stri­chen). Die Briefe und Kar­ten aus aller Welt erreich­ten sie im Gefäng­nis. Von Deutsch­land bis Japan, aus Spa­nien und auch Irland kam die Post. Meşale war überwältigt.

Der Pro­zess­be­ginn – Verteidigung

Für den 11. Okto­ber wurde der Pro­zess in Sili­vri ange­setzt. In der tür­ki­schen Presse wird berich­tet, dass für die deut­sche Jour­na­lis­tin Meşale Tolu 15 Jahre Haft gefor­dert wer­den.
Meşale ver­mu­tet, dass ihre Ver­tei­di­gungs­rede für das Gericht ohne Bedeu­tung sein wird, ent­schließt sich aber doch, diese Rede für die Welt drau­ßen”, ihre vie­len Unter­stüt­ze­rin­nen und Unter­stüt­zer zu hal­ten. Alle sol­len ihre Seite der Geschichte erfahren.

… Sie behaup­ten, ein Geheim­zeuge würde bestä­ti­gen, dass ich mich 2014 und 2015 stän­dig im Stadt­teil Gazi auf­ge­hal­ten hätte, um dort für eine Ter­ror­or­ga­ni­sa­tion zu arbei­ten. Was für ein Unsinn. Am Beginn des frag­li­chen Zeit­raums war mein Sohn fünf Monate alt. Der Geheim­zeuge kennt anschei­nend die große Ent­fer­nung zwi­schen den Stadt­tei­len Gazi und Kar­tal nicht, wo ich wohne, wenn ich mich in Istan­bul auf­halte; und von Klein­kin­dern ver­steht er ver­mut­lich auch nichts. Zu behaup­ten, ich sei regel­mä­ßig mit einem fünf Monate alten Baby zwi­schen der ana­to­li­schen und euro­päi­schen Seite Istan­buls hin und her gepen­delt, zeigt, dass seine Aus­sage frei erfun­den ist. Den Stadt­teil Gazi habe ich in den ver­gan­ge­nen drei Jah­ren höchs­tens vier­mal betre­ten. Jeder ver­nünf­tige Mensch würde auf den ers­ten Blick ver­ste­hen, dass die Aus­sage des omi­nö­sen Zeu­gen halt­los ist. Warum der Besuch von lega­len Beer­di­gungs– und Gedenk­fei­ern in den Jah­ren 2014 und 2015 mir im Jahre 2017 als Ver­bre­chen ange­las­tet wird, dazu komme ich jetzt: Nach dem Putsch­ver­such vom 15. Juli 2016 wurde der Aus­nah­me­zu­stand aus­ge­ru­fen, demo­kra­ti­sche Rechte und die Pres­se­frei­heit wur­den auf­ge­ho­ben. Am meis­ten hatte die Presse dar­un­ter zu lei­den. Dut­zende Fern­seh­ka­näle und Zei­tun­gen wur­den per Not­stands­de­kret ver­bo­ten, hun­derte Jour­na­lis­ten und Pres­se­mit­ar­bei­ter fest­ge­nom­men. Der Jour­na­lis­mus ist in schwe­ren Zei­ten der erste Beruf, der von den Herr­schen­den ins Visier genom­men wird. Das kön­nen wir vor allem an den Raz­zien gegen die Zei­tun­gen Cumhu­riyet und Özgür Gün­dem fest­stel­len. Der Bericht des tür­ki­schen Jour­na­lis­ten­ver­ban­des benennt die Beschrän­kung der Presse– und Mei­nungs­frei­heit als das erns­teste Pro­blem unse­rer Zeit. Jour­na­lis­ten kön­nen ihren Job nicht frei von Repres­sion aus­üben, Zei­tun­gen und Fern­seh­an­stal­ten wer­den unter Druck gesetzt, wenn sie von ihrem Recht auf Kri­tik Gebrauch machen. Wenn wir uns vor Augen füh­ren, dass in einer Demo­kra­tie die Medien als vierte Kraft gel­ten, dann ist es nicht falsch zu behaup­ten, dass die Demo­kra­tie in die­sem Land schwer ver­wun­det wird. Gegen­wär­tig sind etwa 180 Pres­se­mit­ar­bei­ter in Haft, und die Tür­kei liegt im Ran­king der Pres­se­frei­heit auf den letz­ten Plät­zen. …
In der Ankla­ge­schrift wirft man mir vor, ich hätte mich an Gedenk­fei­ern betei­ligt, die für Men­schen orga­ni­siert wur­den, die im Kampf gegen den Isla­mi­schen Staat ihr Leben ver­lo­ren haben. Die Bar­ba­ren­bande IS hat in der Tür­kei und in vie­len Tei­len der Welt tau­sende Men­schen ermor­det und fährt damit fort. Ich sehe es nicht als ein Ver­bre­chen an, der Men­schen zu geden­ken, die gegen den IS gekämpft haben. Schließ­lich ist die Tür­kei als NATO-Land auch Mit­glied der Inter­na­tio­na­len Koali­tion, die den IS zer­schla­gen will. Daher ver­stehe ich nicht, wes­halb die Tür­kei, die vor­gibt, gegen den IS zu kämp­fen, so into­le­rant gegen­über Men­schen ist, die Beer­di­gun­gen von Anti-IS-Kämpfern bei­woh­nen. In vie­len Län­dern der Welt wird die­ser Men­schen ehren­voll gedacht. …
Abschlie­ßend möchte ich dar­auf hin­wei­sen, dass Sie seit 160 Tagen, also seit dem 30. April [2017], als meine Unter­su­chungs­haft ange­ord­net wurde, den Akten rein gar nichts hin­zu­ge­fügt haben. Mit der Begrün­dung, es seien noch nicht alle Beweis­mit­tel gesam­melt, ver­langte man damals die Fort­füh­rung mei­ner Unter­su­chungs­haft. Und Sie haben seit­dem kein ein­zi­ges Beweis­mit­tel hin­zu­fü­gen kön­nen! Ich stelle noch ein­mal fest: Ich habe nichts ver­bro­chen. Hätte die Staats­an­walt­schaft mich befra­gen wol­len, wäre ich frei­wil­lig hin­ge­gan­gen. Meine Woh­nung und mein Arbeits­platz waren ihr bekannt. Als Pres­se­mit­ar­bei­te­rin bin ich stän­dig erreich­bar gewe­sen. Und in mei­ner Woh­nung hat die Poli­zei nichts von dem gefun­den, was sie angeb­lich zu fin­den gehofft hatte. Ich will, dass Sie sich all diese Fak­ten vor Augen hal­ten. Ich for­dere mei­nen Frei­spruch und meine Freilassung.

Für Meşale Tolu wird die Fort­füh­rung der Unter­su­chungs­haft ange­ord­net. Sie wird wie­der nach Bakır­köy ins Frau­en­ge­fäng­nis über­führt.
Der nächste Ver­hand­lungs­tag fin­det am 18. Dezem­ber 2017 statt. Inzwi­schen ist der inter­na­tio­nale Druck sehr groß gewor­den, wodurch der deut­sche Men­schen­rechts­ak­ti­vist Peter Steudt­ner im Okto­ber frei­ge­las­sen wurde. Auch Meşa­les Mann Suat wurde im Novem­ber 2017 frei­ge­las­sen. Die Hoff­nun­gen auf Frei­las­sung nach nun­mehr acht Mona­ten sind rie­sen­groß, beson­ders auch, weil der haupt­amt­li­che Rich­ter durch sei­nen Stell­ver­tre­ter ersetzt wurde. Tat­säch­lich for­dert der Staats­an­walt die Frei­las­sung aller Ange­klag­ten. Unter dem Jubel der Zuschaue­rIn­nen geht unter, dass für Meşale Tolu Auf­la­gen erteilt werden.

Die Ein­schüch­te­rungs­ver­su­che sind nicht beendet

Meşale Tolu wird trotz­dem noch fest­ge­hal­ten und von den Poli­zis­ten der Anti­ter­ror­ein­heit „ent­führt“. Man lässt sie nicht zu ihrer Fami­lie und ihren Unter­stüt­ze­rIn­nen, son­dern ver­sucht sie abzu­schie­ben. Nach einer lan­gen Tour durch Istan­buls Poli­zei­sta­tio­nen wird sie schließ­lich vom deut­schen Kon­sul Michael Erd­mann, Gün­ter Wall­raff und ande­ren in der Poli­zei­sta­tion in Fatih gefun­den und befreit.
Meşale muss sich acht Monate lang wöchent­lich bei einer Poli­zei­sta­tion mel­den. Bei meh­re­ren Gele­gen­hei­ten wird sie von Poli­zis­ten der Anti­ter­ror­ein­heit und von Zivil­po­li­zis­ten beob­ach­tet. Eine wei­tere Raz­zia führt zur erneu­ten Ver­haf­tung ihres Man­nes Suat, der dann nach 7 Tagen wie­der frei­ge­las­sen wird.

Am 26. August 2018 lan­det Meşale Tolu mit ihrem Sohn in Stuttgart.


Im August 2018 bekommt Meşale end­lich die Aus­rei­se­ge­neh­mi­gung; sie lan­det am 26. August 2018 mit ihrem Sohn Ser­kan in Stutt­gart.
Der nächste Pro­zess­ter­min ist für den 16.10.2018 ange­setzt wor­den. Er wird wei­ter ver­scho­ben. Der Pro­zess­ter­min vom Februar 2021 wurde inzwi­schen auf den 16./17. Sep­tem­ber 2021 verschoben.

Die Ver­haf­tungs­welle in der Tür­kei, die im Juli 2016 begann, betrifft inzwi­schen weit mehr als 100.000 Men­schen. In den über­wie­gen­den Fäl­len wird ihnen die Unter­stüt­zung oder Mit­glied­schaft in einer ter­ro­ris­ti­schen Ver­ei­ni­gung vorgeworfen.

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Meşale Tolu mit ihrem Sohn Serkan

…und mit ihrem Mann Suat Çorlu

 

Meşale Tolu

 

Pri­va­ter Radio­sen­der in der Türkei

 

Die Nie­der­schla­gung des Mili­tär­put­sches 2016

 

Die Ko-Vorsitzenden der HDP von 2014 Selahat­tin Demir­taş und Figen Yük­sek­dağ sind seit Novem­ber 2016 wegen Ter­ror­vor­wür­fen in Haft. Der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rechte urteilte im Dezem­ber 2020, Demir­taş sei aus poli­ti­schen Grün­den inhaf­tiert, und for­derte seine Freilassung.

Figen Yük­sek­dağ

 

Kämp­fe­ri­sches Trans­pa­rent zum 1. Mai 1977

 

Soli­da­ri­täts­ak­tion der Gesell­schaft für bedrohte Völker


Demons­tra­tion im April 2018

Text und Video mit einem Kom­men­tar vom Geschäfts­füh­rer Chris­tian Mihr der Orga­ni­sa­tion Repor­ter ohne Gren­zen (sorry! Am Anfang kommt lei­der Werbung!)

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Pro­teste von tür­ki­schen Jour­na­lis­ten für ihre Kol­le­gen, 2016. Das Stock­holm Centre for Free­dom führt eine regel­mä­ßig aktua­li­sierte Liste der Pro­zesse, die gegen Jour­na­lis­ten ange­strengt wer­den. Laut die­ser waren im Dezem­ber 2018 74 Jour­na­lis­ten ver­ur­teilt und 168 Jour­na­lis­ten inhaf­tiert. Außen­mi­nis­ter Mev­lüt Çavuşoğlu erklärte hin­ge­gen im Februar 2017, es gebe nicht „einen ein­zi­gen Jour­na­lis­ten, der für das Schrei­ben von Nach­rich­ten in der Tür­kei gefan­gen gehal­ten wurde.

Video zu einer Pres­se­kon­fe­renz in Istan­bul anläss­lich der Frei­las­sung von Meşale Tolu (sorry — auch hier lei­der wie­der am Anfang Werbung)

Inter­view (Video) im Mor­gen­ma­ga­zin am 23.05.2019

 

Ein aktu­el­ler Fall: Pro­test vor dem Frank­fur­ter Amts­ge­richt gegen die Abschie­bung von Naz­dar Ece­vit. Ihr dro­hen in der Tür­kei mehr­jäh­rige Haft­stra­fen u.a. wegen der Unter­stüt­zung der HDP. Die Abschie­be­haft für Naz­dar Ece­vit wurde am 15.4. 2021 wie­der auf­ge­ho­ben. Der hes­si­sche Flücht­lings­rat for­dert nun die Kor­rek­tur der asyl­recht­li­chen Fehlentscheidung.