Cornelia Rühlig, Vorstandsvorsitzende der Margit-Horváth-Stiftung, begrüßt voller Freude die vielen Gäste und erläutert in kurzen Worten die Bedeutung des Gebäudes. Die Glaswand, auf die Sie nun schauen, zeigt die Namen der ungarischen Jüdinnen, die 1944 hier inhaftiert waren. Junge Frauen und junge Mädchen. Die Fotos zeigen sie in etwa in dem Alter, in dem sie hier inhaftiert waren. Die Fotos wurden entweder kurz vor oder kurz nach ihrer Deportation aufgenommen. Wichtig ist bei diesem Gebäude aber noch ein weiterer Aspekt: Dieses Gebäude wäre nicht möglich gewesen ohne das Engagement von heutigen jungen Menschen. Sie sind in etwa in dem Alter wie die jungen Frauen damals, die ehemaligen Inhaftierten.
Ungefähr 100 junge Männer und Frauen haben jeweils drei Wochen in ihrer eigenen Freizeit hier ausgegraben und sich zwischendurch immer wieder anhand verschiedener Beispiele mit der Frage beschäftigt haben: Wie kommt es, dass eine Mehrheitsgesellschaft eine Minderheit ausgrenzt und verfolgt — eine Minderheit, die nichts Unrechtes getan hat? Gesellschaftliche Diskriminierungen bis hin zum Mord. Eine ganz besondere Rolle nahmen dabei die Enkelinnen und Enkel von Überlebenden
Cornelia Rühlig, Vorstandsvorsitzende der Margit-Horváth-Stiftung, begrüßt voller Freude die vielen Gäste und erläutert in kurzen Worten die Bedeutung des Gebäudes. Die Glaswand, auf die Sie nun schauen, zeigt die Namen der ungarischen Jüdinnen, die 1944 hier inhaftiert waren. Junge Frauen und junge Mädchen. Die Fotos zeigen sie in etwa in dem Alter, in dem sie hier inhaftiert waren. Die Fotos wurden entweder kurz vor oder kurz nach ihrer Deportation aufgenommen. Wichtig ist bei diesem Gebäude aber noch ein weiterer Aspekt: Dieses Gebäude wäre nicht möglich gewesen ohne das Engagement von heutigen jungen Menschen. Sie sind in etwa in dem Alter wie die jungen Frauen damals, die ehemaligen Inhaftierten.
Ungefähr 100 junge Männer und Frauen haben jeweils drei Wochen in ihrer eigenen Freizeit hier ausgegraben und sich zwischendurch immer wieder anhand verschiedener Beispiele mit der Frage beschäftigt haben: Wie kommt es, dass eine Mehrheitsgesellschaft eine Minderheit ausgrenzt und verfolgt — eine Minderheit, die nichts Unrechtes getan hat? Gesellschaftliche Diskriminierungen bis hin zum Mord. Eine ganz besondere Rolle nahmen dabei die Enkelinnen und Enkel von Überlebenden des Walldorfer Lagers, die hier an den Ausgrabungen teilgenahmen, ein. Hier zu graben und Scherben zu finden - einige davon mit einem Hakenkreuz darauf. In diesem Augenblick zu wissen, dass die letzte, die diese Scherbe einer Tasse oder eines Tellers in der Hand gehalten hatte, ein KZ-Häftling war — vielleicht sogar die damals völlig entwürdigte eigene Großmutter — oder eine SS-Frau. Eine solch direkte Konfrontation mit einem originalen Puzzlestein der Geschichte löst Vieles aus: Schmerz, Trauer, Weinen, Nachdenklichkeit … Zugleich aber hilft dieser Prozess auch, nun neu und anders mit Geschichte umgehen zu können. Was dies bedeuten kann, werden Ihnen später die jungen Menschen selbst beschreiben. Zusätzlich zu diesen 100 jungen Menschen, die zumeist aus dem Ausland kamen, um hier drei Wochen auszugraben, waren es viele Schulklassen aus der Region — schätzungsweise 400 Schülerinnen und Schüler, die drei oder vier Tage an unseren Projekten teilnahmen – wobei es auch da stets unser Prinzip war, dies möglichst freiwillig und in der eigenen Freizeit zu tun. Wir denken, eine solche Arbeit kann und sollte man freiwillig tun. Dies ermöglicht eine andere innere Offenheit. Doch natürlich wäre dieses Gebäude auch nicht möglich gewesen ohne die eindrucksvolle Unterstützung von vielen Privatpersonen und Institutionen: die Stadt Mörfelden-Walldorf, die Stadt Frankfurt, die Flughafenstiftung Frankfurt, das Landesamt für Denkmalpflege Hessen, die Fraport AG, die Hessen-Thüringischen Kulturstiftung, der Kreis Groß-Gerau, die Bethe-Stiftung, die Entega-Stiftung u.v.a.m. All diesen engagierten Persönlichkeiten gilt unser herzlicher Dank!
Ulrike Holler: Und wir haben zum heutigen Tag auch Überlebende des Holocaust eingeladen. Sie gehen trotz des Schlimmen, das sie erlebt haben, in die Schulen, zu Vereinen, zu Veranstaltungen, um als Zeitzeugen von ihren schweren Erlebnissen zu berichten.
Wir verneigen uns vor ihren Schicksalen.
Es sind: Trude Simonsohn, Eva Szepesi, Leslie Schwartz und Edith Erbrich.
Es ist uns eine Ehre, dass Sie heute hier sind.
Cornelia Rühlig: Um nochmals deutlich zu machen, dass das Engagement von Einzelpersonen und Institutionen Hand in Hand ging, werden wir nund keine Grußworte in Form von Monologen folgen, sondern Dialoge. Dialoge zwischen Vertretern von Institutionen, die uns maßgeblich unterstützt haben, und jungen Menschen, die hier drei Wochen an unseren Ausgrabungsprojekten, diesen sog. “work and study camps” teilgenommen haben. Es beginnt Kevin Peters, Enkel von Betty Jakobovits, die 1944 mit ihren beiden Schwestern im Walldorfer Lager inhaftiert war — im Gespräch mit Herrn Staatsminister Axel Wintermeyer, Chef der hess. Staaskanzlei und damit Vertreter des Landes Hessen und der Flughafenstiftung Frankfurt.
Kevin Peters: Zunächst möchte ich Herrn Wintermeyer sehr herzlich danken für die große Unterstützung, die er diesem Projekt entgegengebracht hat. Ich habe hier 2009 an einem dreiwöchigen internationalen Camp teilgenommen, nun komme ich wieder und sehe dieses Gebäude … das mich tief in meinem Herzen berührt. Und ich sehe Sie alle heute hier, auch das berührt mich in einer ganz besonderen Weise. Dafür möchte ich Ihnen Allen danken. — Herr Wintermeyer, wie kam es,dass Sie sich so für dieses Projekt einsetzten?
Axel Wintermeyer: Vor ungefähr vier Jahren sprach mich der frühere Bürgermeister von Mörfelden-Walldorf, Bernhard Brehl, mit der Bitte an, im Rahmen der Flughafenstiftung Frankfurt etwas zur Realisierung dieses Gebäudes beizutragen. Wir beschlossen daraufhin, die Hälfte der Kosten für dieses Gebäude zu übernehmen (Applaus).
Kevin Peters: Hat die Zusammenarbeit, die Arbeitsweise der Stiftung oder nun auch dieses Gebäude Ihnen neue Einsichten vermittelt?
Axel Wintermeyer: Dieses Gebäude ist zunächst eine Gedenkstätte für die jungen Frauen, die 1944 hier inhaftiert waren. Aber ich denke, es ist zugleich wichtig, dass es nicht „nur“ eine Gedenkstätte ist, sondern zugleich ein Ort für junge Menschen, ein Ort, an dem man heute gemeinsam lernen und diskutieren kann über Freiheit, über Diskriminierung, über Fragen des Rassismus. Dies ist sehr wichtig. — Ich bin sehr froh, Kevin, dass Sie hier waren und mit dazu beigetragen haben, dass dieses Haus gebaut werden konnte. Welches Gefühl hatten Sie, als Sie hierher kamen, um drei Wochen an diesem Projekt teilzunehmen? Wie war die Reaktion Ihrer Großmutter? Wie reagierte sie, als Sie zurück nach New York kamen und von Ihren Erfahrungen erzählten?
Kevin Peters: Als ich 2009 an den Ausgrabungen teilnahm, war mir anfangs nicht wirklich klar, was mich erwartete. Zunächst war ich nervös. Ich wusste, dass meine Großmutter hier schweres Leid erfahren hatte. Aber sie spricht nicht en detail mit mir über das, was sie in den KZs erlebt hat. Ich denke, sie will mich schützen. Doch mir war klar, dass dieser Ort sie zu dem gemacht hat, was sie ist — auch in der Weise, dass sie sehr viel tun musste, um im Leben erfolgreich zu sein und so leben zu können, wie sie es wollte. Als ich zurück nach Hause kam, wollte sie alles ganz genau wissen. Ich konnte meiner Großmutter erzählen, dass die Stadt Mörfelden-Walldorf sehr viele Leute für dieses Projekt gefunden hatte. Dieses Mal ist es noch etwas ganz Anderes. Ich habe viele Fotos gemacht, die ich ihr zeigen werde. Dieses Gebäude ist nun ein sichtbarer Ausdruck davon, dass die Erinnerung hier wirklich Teil des öffentlichen Lebens ist. Dies ist wichtig für meine Großmutter und nimmt ihr etwas von der schweren Last, die auf ihrem Herzen liegt. Diese Arbeit und dieses Engagement tut ihr sehr gut.
Axel Wintermeyer: Ich möchte mich bedanken bei der Margit-Horváth-Stiftung und bei den vielen jungen Menschen, die hier mit geholfen haben, diesen Lern– und Gedenkort zu schaffen. Wir wissen, dass es auch heute viele Formen von Rassismus oder z.B. auch religiösem Fanatismus gibt. Ihr Ansatz, hier mit jungen Menschen über ihre Zukunft zu diskutieren, wie sie sie gestalten und mitgestalten möchten, dass so etwas nicht mehr passiert, das ist etwas ganz Besonderes. So möchte ich gerne mit einem Zitat von Max Mannheimer schließen, der leider vor zwei Tagen leider verstorben ist: „Ihr seid nicht schuld an dem, was war, aber verantwortlich dafür, dass es nicht mehr geschieht.“
Cornelia Rühlig: In einem zweiten Dialog wird Martina Janssen, Teamerin unseres work and study camp 2005, mit Mike Josef, Planungsdezernent und Repräsentant der Stadt Frankfurt, sprechen. Das Gelände, auf dem das neue Gebäude steht, gehört zur Frankfurter Gemarkung. Die Stadt Frankfurt hat unser Projekt großzügig unterstützt. Gleichzeitig danke ich an dieser Stelle der Leiterin des dortigen Denkmalamtes, Frau Dr. Hampel. Auch sie ist heute hier zu Gast.
Martina Janssen : Darf ich gleich mit einer direkten Frage beginnen? In welcher Weise war die Stadt Frankfurt unterstützend tätig und mit welcher persönlichen Motivation kamen Sie heute hierher?
Mike Josef: Wir freuen uns, dass wir dieses Projekt durch einen finanziellen Zuschuss und durch die Leiterin unseres Denkmalamtes, Frau Dr. Hampel, unterstützen konnten. Es gehört zum Selbstverständnis der Stadt Frankfurt, dass wir zum einen die große jüdische Tradition, die unsere Stadt wesentlich mit geprägt hat, wertschätzen und pflegen. Ich möchte nur an die Gründung der Frankfurter Universität erinnern. Diese wäre ohne die Unterstützung unserer jüdischen Mitbürger so gar nicht möglich gewesen. Zum anderen ist es selbstverständlich, daran zu erinnern, was auf Frankfurter Gemarkung geschehen ist. Leider haben wir auch heute europaweit wieder einen stärkeren Antisemitismus. Für die Stadt Frankfurt ist es wichtig, deutlich zu machen, dass wir solchen Tendenzen entschieden entgegen treten. Deswegen stehe ich heute hier.Doch nun möchte ich gerne auch Sie fragen: Was verbinden Sie mit diesem Projekt hier?
Martina Janssen: Ich war Co-Teamerin im work and study camp 2005. Ich bin über eine Website der ijgd förmlich in dieses Projekt hineingestolpert. Anfangs dachte ich, es wird interessant sein, sich intellektuell mit der Thematik zu beschäftigen, merkte dann aber sehr schnell, dass das, was hier angedacht war, weit über die übliche intellektuelle Arbeit hinausging. Es wurde dann eine ganz erstaunlich Erfahrung. Bei dem gemeinsamen Graben kamen wir der Geschichte dieses Lagers so nahe. Wir wurden durch alles, was wir ausgruben, direkt mit der Geschichte konfrontiert. Die deutsche Geschichte wurde dabei so viel deutlicher, klarer und greifbarer … Es ist schwer, dafür das richtige Wort zu finden. Definitiv veränderte sich mein Zugang zu dieser Thematik durch diese Arbeit grundlegend: von einem zunächst vor allem intellektuellen Zugang hin zu einem zugleich sehr emotionalen gemeinsamen Prozess. Daher ist es mir auch ein großes Anliegen, mich heute nochmals bei denen bedanken, die damals mitgearbeitet haben. Es war für mich eine großartige Zeit.
Mike Josef: Und was bedeutet es, nach einer so vielen Jahren zu sehen, was inzwischen aus diesem Projekt geworden ist? Martina: Das ist tief bewegend für mich. — Als ich hier um die Ecke kam, weinte ich. Dies ist für mich ein emotional sehr wichtiger Ort und nun – nach 11 Jahren wieder hierher zu kommen und dieses eindrucksvolle Gebäude zu sehen – ist einfach unglaublich. Mir fehlen einfach die Worte. Zu sehen, was Sie alle hier inzwischen geschaffen und erreicht haben, ist einfach phantastisch. Danke.
Cornelia Rühlig: Ich bitte nun Herrn Michael Müller, Vorstandsmitglied der Fraport AG, nach vorne und Tal Segev. Sie hat 2005 gemeinsam mit ihrer Schwester Liat an dem work and study camp teilgenommen, von dem Martina eben sprach. Tal lebt in Israel, ihre Großmutter, Goldi Mermelstein (damals Aranka Basch), war 1944 hier als 15-jähriges Mächen inhaftiert.
Tal Segev: Als erstes möchte ich Ihnen danken für die große Unterstützung und das Verständnis, das Sie diesem Projekt entgegenbringen. Ich denke, ohne Menschen wie Sie wäre dies hier nie möglich gewesen. Es ist für mich sehr wichtig zu wissen, dass man sich auch in Zukunft daran erinnern wird, was hier in der Vergangenheit geschah. Das ist sehr wichtig für mich. Ich weiß, dass der Flughafen dieses Projekt finanziell sehr unterstützt hat. Was bedeutet dieses Projekt für Sie persönlich? Was unterscheidet es für Sie von anderen?
Michael Müller: Ich danke Ihnen für Ihren Dank, möchte aber zugleich Ihnen ebenso danken für all das, was Sie getan haben. Finanzielle Unterstützung, wie wir sie gegeben haben, ist das eine, das andere aber ist es hier zu arbeiten, mit ganzem Herzen und dabei viele tiefe, eigene Erfahrungen zu machen. Bei einem der work und study camps, die hier stattfanden, hatten auch Auszubildende der Fraport AG die Möglichkeit teilzunehmen. Damals war ich im Unternehmen für das Personl zuständig und sehr froh, dass einige unserer jungen Studenten hier mitarbeiten und diese eigenen Erfahrung in der Auseinandersetzung mit Geschichte machen konnten. Ich denke, dies ist für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit eine enorm wertvolle Erfahrung, die er in sein ganzes weiteres Leben mitnehmen wird. — Vor 70 Jahren geschah all das Schreckliche hier an diesem Ort und in vielen anderen Lagern. Was meinst du, werden unsere Kinder und Kindeskinder in weiteren 70 Jahren darüber denken?
Tal Segev: Ich habe noch keine eigenen Kinder, arbeite aber beruflich und auch in meiner Freizeit mit Kindern und Jugendlichen. Ich denke, es ist sehr wichtig, sie in ihrer Entwicklung innerlich zu begleiten und ihnen dabei natürlich auch historisches Wissen zu vermitteln. Es ist völlig egal, welche Religion jemand hat oder welche Biografie, es ist egal, wie lange das, was hier passierte, her ist. Es ist letztlich für uns alle wichtig dafür zu sorgen, dass sich eine solche Geschichte nicht wiederholt, dass so etwas nie wieder geschieht. Es ist daher bewegend und sehr, sehr wichtig für mich, hier all die Menschen ganz unterschiedlichen Alters zu sehen, die alle an dieser Veranstaltung teilnehmen, weil sie wissen, lernen und eben nicht vergessen wollen. Ich werde ganz sicher später wieder mit meinen Kindern und Kindeskindern hierher kommen und ihnen alles zeigen. Heute ist es ein ganz besonderes Gefühl, hier als dritte Generation von Holocaustüberlebenden zu stehen, ganz besonders meine Großmutter zu repräsentieren, und auch die Erinnerung an ihr Leiden lebendig zu halten.
Cornelia Rühlig: Diesen Teil des Programes schließen wir nun ab mit einem Dialog zwischen dem Bürgermeister der Stadt Mörfelden-Walldorf Herrn Heinz-Peter Becker und Ulrike Holler in Vertretung einer weiteren früheren Teamerin, die heute aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig leidr nicht hier sein kann.
Ulrike Holler: Ihr Vorgänger, Bürgermeister Brehl, hat sich hier in der Erinnerungsarbeit für dieses Lagers sehr engagiert. Er hat viel Widerstand erlebt, viel Gegenwind aus der Bevölkerung, aber auch aus den politischen Parteien. Sie sind sein Nachfolger. Als Nachfolger macht man doch meist etwas ganz Anderes. Warum machen Sie weiter?
Heinz-Peter Becker: Weil wir in der Sache übereinstimmen. Aber es gibt auch einen persönlichen Grund. Ich bin 1957 geboren, in meinem Schulunterricht kam die NS-Zeit nicht vor. Ich hatte auf dem Gymnasium in Groß-Gerau sogar einen Lehrer, der sich damit gebrüstet hat, bei der Waffen-SS gewesen zu sein. So habe ich schon in meiner Jugendzeit angefangen, sehr viel über die NS-Zeit zu lesen, denn ich fand dies immer als eine große Schande. Mir ist es wichtig, wenigstens einen kleinen eigenen Beitrag zu leisten, damit so etwas nie wieder passiert. Das ist eine Grundhaltung, die mich sehr klar mit Bernhard Brehl verbindet.
Ulrike Holler: Sie haben die Etappen zu diesem Gebäude besonders aufmerkam begleitet. Ist Ihnen dies ein eigenes inneres Bedürfnis oder Teil Ihres Selbstverstännisses als Bürgermeister?
Heinz-Peter Becker: Viele Projekte, die hier stattfanden, waren für mich persönlich tief beeindruckend. Vielleicht war der eine oder andere von Ihnen dabei, als wir im November 2000 hier den Historischen Lehrpfad im Beisein von 19 Überlebenden des Walldorfer Lagers einweihten und damals die Namen der 1.700 Mädchen und jungen Frauen gemeinsam verlesen wurden. Ich fand es sehr gut, dass die Einladung an die Überlebenden damals gemeinsam mit der Fraport AG und der Stadt Frankfurt ausgesprochen wurde. Es ist wichtig, eine solche Arbeit gemeinsam zu tun. Doch zu dieser Geschichte gehört ja leider auch, dass das Bauunternehmen Züblin, für das die jungen Frauen damals als KZ Häftlinge eine Rollbahn bauten, sich ihrer historischen Verantwortung entzogen hat. Michael Müller, den Sie vorhin hörten, war damals mein Vorgesetzter. Er hat sich damals schon für dieses Projekt hier engagiert. Zudem war ich – damals als Fraport-Mitarbeiter – stolz darauf, dass unser Vorstandsvorsitzender, Dr. Wilhelm Bender, sich u.a. auch an der Verlesung der Namen beteiligt hat. Es ist für alle Beteiligten ein gravierender Unterschied, ob ein Unternehmen oder auch eine Stadt sich einer historischen Verantwortung stellt oder ob diese schlichtweg negiert wird.
Cornelia Rühlig: Die Menge der Menschen, die heute hierher gekommen sind, zeigt noch ein Weiteres. Sie ist ein Ausdruck davon, dass die Bevölkerung in vielfältiger Weise immer wieder involviert war und in vielen einzelnen kleinen Schritten unser Projekt unterstützte. Wir können leider jetzt nicht 300 Menschen nach vorne bitten, um uns zu bedanken, aber wir haben zwei Menschen stellvertretend ausgewählt: Sükran Schulmeyer und Ingeborg Wienhold. Zudem bitte ich Reinhold Buch und Günter Völker nach vorne. Frau Wienholdund Frau Schulmeyer werden ein kurzes Gespräch führen mit Dominik Schwan. Dominik nahm 2009 an unserem work and study camp teil. Er war 11 Jahre Berufssoldat, dabei u.a. auch lange Zeit im Einsatz in Afghanistan.
Ingeborg Wienhold: Dominik, du hast deinen Jahresurlaub 2009 hier in unserem work und study camps verbracht. Was war damals deine Motivation und wie hast du von dem Projekt gehört?
Dominik Schwan: Meine damalige Freundin, Claudia, war eine der Teamerinnen. Sie hat mich gefragt, ob ich auch teilnehmen möchte. Ich dachte, es ist interessant, da sind viele Jugendliche aus ganz verschiedenen Nationen und wann bekomme ich noch mal die Möglichkeit, mit einer so gemischten Gruppe über dieses Thema zu sprechen. Man hört es in der Schule, man redet darüber, aber es sind immer nur die rein deutsche Sichtweise. Mit diesem internationalen Camp war für mich eine ganz andere Möglichkeit geschaffen!
Ingeborg Wienhold: In “deinem” Camp waren es damals junge Menschen aus elf verschiedenen Nationen zusammen — von England und Frankreich über Georgien bis hin zu Japan und China.
Dominik Schwan: Es war eine gute Zeit, die wir zusammen hatten. Natürlich haben wir nicht nur ausgegraben, sondern uns auch viel mit inhaltlichen Fragen beschäftigt: die deutsche und europäische Geschichte des Antisemitismus, Fragen des Rassismus in anderen Ländern oder auch die Stellung von Minderheiten in China… Und natürlich gab es unter uns auch viele lustige und viele schöne Momente. Ich erinnere mich z.B. daran, dass wir abends oft in der Arnoul-Schule unter dem Flügel saßen und einer von uns gespielt hat. — Sükran habe ich damals auch kennengelernt. Sie war super engagiert und immer bereit mitzumachen – obwohl wir alle doch deutlich jünger waren als du. Warum hast du das gemacht damals?
Sükran: Ich bin in der Türkei geboren und lebe seit 45 Jahren hier in Mörfelden-Walldorf, d.h. das hier ist jetzt meine Heimat. Mein Herz sagt mir ganz einfach, dass ich mich hier engagieren muss. Meine Kinder sind 2008 ins Ausland gezogen, also habe ich euch dann angenommen …
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Schon bevor das work und study camp anfing, hat fü uns die Arbeit schon begonnen. Wir sind von einem zum anderen geschäft gelaufen und haben um Lebensmittelspenden gebeten. Und es war so toll, alle haben uns etwas gegeben. Von diesen Lebensmitteln konnten die jungen Leute dann in der Schulkücke kochen – immer reihum – Gerichte aus dem eigenen Heimatland. Das hat mich sehr bewegt. So habe ich dann auch mit ausgegraben, wir haben zusammen gekocht, wir haben uns unterhalten, das hat einfach gepasst. Da gab es kein jung und alt. Wir gehörten alle zusammen. Und heute stehe ich hier, weil ich mich bei all diesen vielen tollen Bürgerinnen und Bürgern bedanken möchte, dass sie uns jeden Morgen Wurst, Brötchen, Brot, alles zur Verfügung gestellt haben.
Aus dem Publikum: Und Kuchen!
Sükran: Richtig. Sogar Kuchen wurden für uns gebacken. Uns wurden sogar Fahrräder für drei Wochen zur verfügung gestellt. Wir hatten einfach alles. Uns hat es an nichts gefehlt. Dafür ein ganz herzliches danke schön.
Wienhold: ich habe viele Jahre im Vorzimmer des hiesigen Bürgermeisters gearbeitet und habe dadurch die Margit-Horváth-Stiftung kennengelernt. Nun engagiere ich mich schon seit einigen Jahren selbst für die stiftung und habe bei unseren vielen Veranstaltungen schon viele Spenden erhalten. Dafür möchte ich mich heute ser herzlich bedanken. Es gab Vorträge, Autorenlesungen, Podiumsgespräche, Musikverantaltungen .. egal ob 2, 3 oder 5.- € jede Spende von Ihnen hat dazu beigetragen, dass dieses projekt hier realisiert werden konnte. Dafür danke ich ganz herzlich. Ich möchte aber auch noch af einen schönen Nebeneffekt hinweisen. Dadurch dass ich hier dabei bin, lerne ich ja auch so viele interessante Menschen kennen wie z.B. Trude Simonsohn. Und die Margit-Horvat-Stiftung hat ja nicht nur jüdische Themen. So habe ich inzwischen auch schon viele Roma kennengelernt oder auch den Frankfurter Staatsanwalt Gerhard Wiese, den Konfliktforscher Tim Williams u.v.a.m. So macht es wirklich Spaß dabei zu sein.
Rü: Es wird immer deutlicher, in unserer Arbeit steckt auch sehr viel Freude und Idealismus. Dies haben aber auch diese beiden Herren, die zugleich aber auch eine ganz andere Rolle haben. Wir haben keine Ahnung vom Bau. Schon bei unseren Ausgrabungen in den Camps war es so, dass wir immer wieder auf Mauerreste stießen, von denen wir nicht wussten, ist das nun ein teil einer Fensterbrüstung oder von einer Tür. Wir verstehen davon nicht. Aber Günter völker war jahrzehntelang Polier bei Hochtief, zudem auch noch ausbilder.
Herzlich bedanken möchte ich mich auch bei reinhold Buch. Er war früher ein kollege von mir, ein Baufachmann in allen Bereichen. Wann immer es irgendwo brannte, warst du da. Tausend dank dafür. Und ohne diese fachliche Begleitung, die mir stets sehr, sehr viel wert war, hätten wir uns vermutlich sogar nicht einmal ein solches Bauprojekt zugetraut.
Rü: Immer wieder betonen wir, wie wichtig die zusammenarbeit mit jungen Menschen ist. Wir haben einen Kooperationsvertrag mit der ricarda-Huch-Schule in dreieich, insbesondere mit der drtigen gechichtslehrerin Myriam andres. Sie hat mit Oberstufenschülern – natürlich wiederum in deren Freizeit – Szenen vorbereitet, die erinnern an die Geschchte des Kellers unter der Küchenbaracke fokussiert, aber ein klein wenig auch eingebettet in alles, was der Keller insgesamt bedeutete. Die szenen werden, sie werden kommentiert, es werden deutsche texte gelesen. Unsere ausländischen gäste haben aber die Übersetzung vor sich. Die szenen werden ab und an nochmals unterbrochen durch kleine Dialoge, die sich dann jeweils auf das beziehen, was gerade dargestellt wurde.
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