Das Ende der Hong­kon­ger Freiheitshoffnung

Hong­kong war lange der ein­zige Ort in der Volks­re­pu­blik China, an dem Mei­nungs­frei­heit exis­tierte. Die Bürger*innen der Son­der­ver­wal­tungs­zone mach­ten von ihren Rech­ten Gebrauch und pro­tes­tier­ten für Demo­kra­tie und den Erhalt der Rechts­staat­lich­keit. Dar­auf rea­gierte Peking mit extre­men Mit­teln: Das neue „Natio­nale Sicher­heits­ge­setz“ machte die Bevöl­ke­rung die­ser bis­lang so vita­len Stadt mund­tot. Heute herrscht öffent­li­ches Schwei­gen in Hongkong.

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Xia Bao­long (geb. 1952 in Tianjin)

Mei­nungs­frei­heit wird im All­ge­mei­nen als Vor­aus­set­zung für eine funk­tio­nie­rende Demo­kra­tie ange­se­hen. Der chi­ne­si­sche Poli­ti­ker Xia Bao­long sieht dies aber offen­bar ganz anders. Abwei­chende Mei­nun­gen, so erläu­terte er wäh­rend einer Rede vor dem Hong­kon­ger Par­la­ment im April 2023, seien kein Merk­mal einer qua­li­tät­vol­len Demo­kra­tie. Der Legis­la­tiv­rat tagte an jenem Tag nicht öffent­lich. Dabei sind die Worte Xias von enor­mem öffent­li­chen Inter­esse, denn der Mann hat gro­ßen Ein­fluss: Xia ist seit Februar 2020 Direk­tor des Hongkong-Macao Affairs Office, einem wich­ti­gen Ent­schei­dungs­gre­mium des Zen­tral­ko­mi­tees der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei Chinas.

Die gesamte Sze­ne­rie von Xias Auf­tritt hin­ter ver­schlos­se­nen Türen steht in einem frap­pie­ren­den Kon­trast zu dem, was knapp vier Jahre zuvor an glei­cher Stelle geschah. Am 1. Juli 2019 besetz­ten Pro­tes­tie­rende den Legis­la­tiv­rat für einige Stun­den, gelang­ten bis zum Ple­nar­saal und errich­te­ten hin­ter dem Red­ner­pult ein Ban­ner mit der Auf­schrift „Es gibt kei­nen Mob nur Tyrannei!“

Demonstrant*innen beset­zen den Ple­nar­saal des Hong­kon­ger Legis­la­tiv­ra­tes, 1. Juli 2019

Diese Beset­zung war Teil einer gro­ßen Pro­test­welle. Ein Gesetz­ent­wurf sah vor, dass Ange­klagte in Hong­kong auch nach Festland-China hät­ten aus­ge­lie­fert wer­den kön­nen, obwohl dort in Erman­ge­lung eines funk­tio­nie­ren­den Rechts­staats keine fai­ren Pro­zesse gewähr­leis­tet sind. Dem­ge­gen­über verfügt(e) Hong­kong, das seit 1997 als Son­der­ver­wal­tungs­zone Teil der Volks­re­pu­blik China ist, über eine unab­hän­gige Jus­tiz. Über Monate hin­weg demons­trier­ten Hun­der­tau­sende gegen das Gesetz. Auf dem Höhe­punkt ver­sam­mel­ten sich etwa zwei Mil­lio­nen, fast ein Drit­tel der Hong­kon­ger Bevöl­ke­rung, zu einem Pro­test­marsch am 16. Juni 2019. Im Laufe der Zeit wei­te­ten sich deren For­de­run­gen aus. Die Men­schen ver­lang­ten neben der Rück­nahme des Aus­lie­fe­rungs­ge­set­zes die Frei­las­sung von mehr als 10.000 ver­haf­te­ten Pro­tes­tie­ren­den, die Ein­set­zung einer unab­hän­gi­gen Kom­mis­sion zur Auf­ar­bei­tung der Poli­zei­ge­walt, den Rück­tritt der dama­li­gen Regie­rungs­che­fin Car­rie Lam, gefolgt von freien Wah­len. Außer­dem for­der­ten sie, dass Demons­tra­tio­nen nicht län­ger von offi­zi­el­ler Seite als „Ran­dale“ ver­un­glimpft werden.

Das Ende der Protestbewegungen

Zur Erin­ne­rung an die Mas­sa­ker auf dem Pekin­ger “Platz des Himm­li­schen Frie­dens” (1989) im Hong­kon­ger Vic­to­ria Park, 2011

Die Hong­kon­ger Demons­tra­tio­nen von 2019 waren kein Ein­zel­fall. Über Jahre hin­weg hat­ten sich in Hong­kong immer wie­der Mas­sen­pro­teste wie­der­holt. Drei Bei­spiele: Seit­dem die Pro­teste auf dem Platz des Himm­li­schen Frie­dens in Peking 1989 blu­tig nie­der­ge­schla­gen wor­den sind, erin­ner­ten jähr­lich zehn-, wenn nicht gar hun­dert­tau­sende Men­schen in Hong­kongs Vic­to­ria Park an das Mas­sa­ker — fried­lich mit Gesang, Reden und Ker­zen. Im Jahr 2012 wand­ten sich Schüler*innen gegen die Ein­füh­rung eines natio­na­lis­ti­schen Cur­ri­cu­l­ums in den Schu­len der Stadt, das die Bin­dung an Festland-China und die kom­mu­nis­ti­sche Füh­rung stär­ken sollte.

Mas­sen­de­mons­tra­tion der “Regen­schirm­be­we­gung” in den Stra­ßen Hong­kongs, 2014

Zwei Jahre spä­ter besetz­ten meh­rere Mil­lio­nen Hong­kon­ger drei Stadt­vier­tel über drei Monate hin­weg und for­der­ten die Demo­kra­ti­sie­rung der loka­len Wah­len. Auch in die­sem Pro­test­zy­klus, der als „Regen­schirm­be­we­gung“ bekannt wurde, spiel­ten vor allem junge Leute die tra­gende Rolle.

Sol­che Pro­teste musste Xia Bao­long, der Abge­sandte Pekings, in den April­ta­gen 2023 nicht fürch­ten. Pro­teste sind in der Stadt unmög­lich gewor­den. Was ist in der Zwi­schen­zeit geschehen?

Im Som­mer 2020 ver­ab­schie­dete der Stän­dige Aus­schuss des Natio­na­len Volks­kon­gres­ses in Peking ein neues „Natio­na­les Sicher­heits­ge­setz“ für Hong­kong, das anschlie­ßend mit einem juris­ti­schen Trick Gül­tig­keit in der Son­der­ver­wal­tungs­zone erlangte. Das Vor­ge­hen der Pekin­ger Zen­tral­ge­walt ver­stieß sowohl gegen inter­na­tio­na­les Recht als auch gegen das Grund­ge­setz, das die chi­ne­si­schen Macht­ha­ber ursprüng­lich selbst für Hong­kong ent­wi­ckelt hat­ten. Hong­kong, einst bri­ti­sche Kron­ko­lo­nie und 1997 an China zurück­ge­ge­ben, ist eine Son­der­ver­wal­tungs­zone, der China „weit­ge­hende Auto­no­mie“ für 50 Jahre bis 2047 ein­räumte. Unter dem Dik­tum „Ein Land, zwei Sys­teme“ ver­sprach China, Hong­kongs eigen­stän­di­ges poli­ti­sches Sys­tem mit Gewal­ten­tei­lung und funk­tio­nie­ren­dem Rechts­staat nicht anzu­tas­ten. Auch die kapi­ta­lis­ti­sche Wirt­schafts­weise sollte bei­be­hal­ten wer­den, ein­schließ­lich einer eige­nen, frei kon­ver­tier­ba­ren Wäh­rung. Weit­ge­hende Frei­heits­rechte, die im Rest des Lan­des nicht gege­ben sind, wür­den bis 2047 gewährt blei­ben. Dazu zählte auch das Ver­spre­chen, dass Chi­nas Gesetze mit weni­gen Aus­nah­men in Hong­kong keine Gül­tig­keit hät­ten. Die Gesetz­ge­bungs­kom­pe­tenz sollte beim Legis­la­tiv­rat verbleiben.

Zwar darf Peking fest­land­chi­ne­si­schen Geset­zen auch in Hong­kong Gül­tig­keit ver­lei­hen. Doch dies ist nur dann juris­tisch mög­lich, wenn das infra­ge­ste­hende Gesetz nicht in der allei­ni­gen Zustän­dig­keit Hong­kongs liegt. Genau dies ist aber beim „Natio­na­len Sicher­heits­ge­setz“ der Fall. Arti­kel 23 des Hong­kon­ger Grund­ge­set­zes sieht expli­zit vor, dass der Hong­kon­ger Legis­la­tiv­rat ein Gesetz zur Wah­rung der natio­na­len Sicher­heit ver­ab­schie­det. Zur Ein­hal­tung des von Peking ver­ab­schie­de­ten Grund­ge­set­zes ver­pflich­tet sich die Volks­re­pu­blik in einem völ­ker­recht­li­chen Ver­trag, der Sino-British Joint Decla­ra­tion von 1984.

Mas­sen­pro­teste am 1. Juli 2003 in Hong­kong gegen das Vor­ha­ben nach Arti­kel 23 im Legis­la­tiv­rat eine natio­nale Sicher­heits­ge­setz­ge­bung zu verabschieden.

Als 2003 der ein­zige Ver­such unter­nom­men wurde, ein sol­ches Gesetz in Hong­kong zu ver­ab­schie­den, schei­terte dies nicht nur am Wider­stand der Mas­sen­pro­teste auf Hong­kongs Stra­ßen, son­dern auch im von pro-chinesischen Eli­ten domi­nier­ten Legis­la­tiv­rat. Noch nicht ein­mal die Ver­bün­de­ten Pekings in Hong­kong unter­stütz­ten damals die­sen Plan.

Pekings „Natio­na­les Sicher­heits­ge­setz“ für Hongkong

Bis heute unter­schei­den sich die Lebens­be­din­gun­gen in Hong­kong von denen im Rest des Lan­des. Bei­spiels­weise ver­fügt Hong­kong wei­ter­hin über ein weit­ge­hend freies Inter­net, weil die Große Fire­wall nur im Rest Chi­nas die Ver­füg­bar­keit von kri­ti­schen Inter­net­sei­ten mas­siv ein­schränkt. Doch es meh­ren sich auch in der Son­der­ver­wal­tungs­zone die Ein­schrän­kun­gen. So ist bei­spiels­weise die Seite von „Hong Kong Watch“ ohne ein VPN (Vir­tual Pri­vate Net­work) in Hong­kong nicht mehr ver­füg­bar. Hong Kong Watch ist eine in Groß­bri­tan­nien gegrün­dete zivil­ge­sell­schaft­li­che Orga­ni­sa­tion, die sich für fun­da­men­tale Werte und Men­schen­rechte in Hong­kong einsetzt.

Das „Natio­nale Sicher­heits­ge­setz“ von 2020 beschnei­det mitt­ler­weile die Grund­frei­hei­ten Hong­kongs, ein­schließ­lich der Mei­nungs­frei­heit. Kon­kret schafft die­ses Gesetz vier Straf­tat­be­stände: Sezes­sion, Sub­ver­sion, Ter­ro­ris­mus und Kom­pli­zen­schaft mit einer aus­län­di­schen Orga­ni­sa­tion. Sezes­sion meint: Jed­wede Unter­stüt­zung einer Unab­hän­gig­keit Hong­kongs, und sei dies auch nur ver­bal, wird unter Strafe gestellt. Ein zen­tra­les Pro­blem ist, dass das Gesetz sehr vage gefasst ist. Was als „Sub­ver­sion“ gilt und worin Kom­pli­zen­schaft mit einer aus­län­di­schen Orga­ni­sa­tion besteht, ist im Gesetz nur in Grund­zü­gen gere­gelt. Dies öff­net einer will­kür­li­chen Inter­pre­ta­tion durch die chi­ne­si­schen Behör­den Tür und Tor.

Da der inter­na­tio­nale Pakt über bür­ger­li­che und poli­ti­sche Rechte aber ver­mit­tels des „Hong Kong Bill of Rights“ in der Son­der­ver­wal­tungs­zone Wirk­sam­keit hat, ver­sto­ßen die Ein­schrän­kun­gen gegen gel­ten­des Völkerrecht.

Auch die Durch­set­zungs­mög­lich­kei­ten des „Natio­na­len Sicher­heits­ge­set­zes“ sind dra­ko­nisch. Nicht nur ver­fü­gen die beste­hen­den Behör­den über weit­rei­chende Befug­nisse zur Über­wa­chung und Ver­haf­tung von Beschul­dig­ten, es wurde zudem auch noch eine Behörde für natio­nale Sicher­heit geschaf­fen, die expli­zit über den Hong­kon­ger Geset­zen steht und nicht juris­tisch belangt wer­den kann. In Aus­nah­me­fäl­len, die das Gesetz jedoch wie­derum nicht prä­zise bestimmt, kön­nen Beschul­digte nach Festland-China über­führt und dort abge­ur­teilt wer­den. Auch jene Ver­fah­ren, die in Hong­kong durch­ge­führt wer­den, kön­nen vor einem eigens dafür ein­ge­rich­te­ten Gericht statt­fin­den; die dor­ti­gen Richter*innen wer­den jähr­lich vom Regie­rungs­chef der Son­der­ver­wal­tungs­zone ernannt. Diese Ernen­nung erfol­gen durch einen Regierungschef/eine Regie­rungs­che­fin, die vom poli­ti­schen Peking kon­trol­liert wird. Unab­hän­gige Urteils­fin­dun­gen sind damit nicht zu erwarten.

Hong­kongs Zivil­ge­sell­schaft hin­ter Gittern

Stand März 2023 wur­den 207 Per­so­nen in Hong­kong wegen Ver­sto­ßes gegen das „Natio­nale Sicher­heits­ge­setz“ ver­haf­tet; 125 von ihnen wur­den ange­klagt. Die ers­ten „Ver­stöße“ gegen das neue Gesetz wurde dabei bereits am ers­ten Tag nach Inkraft­tre­ten von der Poli­zei ver­mel­det. Zehn Ver­haf­tun­gen erfolg­ten. Dar­un­ter war die fünf­zehn­jäh­rige Eileen Ho Cheuk-lam, die ver­haf­tet wurde, weil sie ein Ban­ner trug, das zur Unab­hän­gig­keit auf­ruft. Sie wurde jedoch nicht ange­klagt. Andere Per­so­nen wur­den ange­klagt, einige bereits ver­ur­teilt. Die ihnen zur Last geleg­ten Vor­würfe rei­chen von gra­vie­ren­den Anschul­di­gun­gen wie ille­ga­lem Waf­fen­be­sitz bis hin zu harm­lo­sem Ver­hal­ten, wie der Ver­öf­fent­li­chung von Social-Media-Posts. Im Fol­gen­den wer­den ein­zelne Per­so­nen vor­ge­stellt. Zwar sind auch der Jour­na­list Jimmy Lai und der Stu­den­ten­füh­rer Jos­hua Wong in Ver­fah­ren vom „Natio­na­len Sicher­heits­ge­setz“ betrof­fen. Doch ihre Fälle wer­den bereits umfäng­lich in der Presse doku­men­tiert und wur­den daher hier ausgespart.

Tong Ying-kit

Tong Ying-kit ist auf sei­nem Trans­pa­rent “Befreie Hong­kong” unterwegs.

Tong Ying-kit war 23 Jahre alt, als er am 1. Juli 2020 ver­haf­tet wurde. Er hatte an sei­nem Motor­rad eine Fahne mit der Auf­schrift „Libe­rate Hong Kong, revo­lu­tion of our times“ befes­tigt und damit meh­rere Check­points der Poli­zei pas­siert und dabei drei Poli­zis­ten leicht ver­letzt. Er wurde der Sezes­sion und des Ter­ro­ris­mus ange­klagt, für schul­dig befun­den und zu neun Jah­ren Haft ver­ur­teilt. Zunächst kün­digte er an, in Revi­sion zu gehen, zog sei­nen Antrag jedoch aus unbe­kann­ten Grün­den zurück. Das Hong­kon­ger Jus­tiz­mi­nis­te­rium ver­langte im Juli 2022 umge­rech­net knapp 160.000 Euro an Gerichts­kos­ten von Tong.

Gwyneth Ho Kwai-lam

Gwy­yneth Ho Kwai-Iam wäh­rend der Demons­tra­tion am 18. Juni 2020). Sie stu­dierte in Hong­kong, Peking und Ams­ter­dam Journalismus.

Die Jour­na­lis­tin und Akti­vis­tin Gwyneth Ho Kwai-lam war­tet noch auf ihr Gerichts­ver­fah­ren. Sie ist Teil einer Anklage gegen 47 Per­so­nen, denen Sub­ver­sion vor­ge­wor­fen wird, weil sie inof­fi­zi­elle Vor­wah­len zu den Wah­len für den Legis­la­tiv­rat 2020 mit­or­ga­ni­sier­ten. Da in Hong­kong das Mehr­heits­wahl­recht gilt und jeweils nur die Kan­di­da­tin oder der Kan­di­dat mit den meis­ten Stim­men in einem Wahl­kreis in das Par­la­ment ein­zieht, soll­ten die Vor­wah­len kon­kur­rie­rende pro-demokratische Kan­di­da­tu­ren in den Wahl­krei­sen aus­schlie­ßen und damit die Sieg­chan­cen der Oppo­si­tion erhö­hen. Was eine nor­male demo­kra­ti­sche Pra­xis ist, gilt in Hong­kong jedoch als Subversion.

Die 32-jährige Gwyneth Ho Kwai-lam hatte sich als mutige und kri­ti­sche Jour­na­lis­tin einen Namen gemacht, die sich bei Pro­tes­ten nicht sel­ten an den Front­li­nien auf­hielt. So berich­tete sie auch aus dem Legis­la­tiv­rat, als die­ser im Juli 2019 besetzt wurde. Im glei­chen Jahr ver­öf­fent­lichte sie einen Livestream der soge­nann­ten „Atta­cke von Yuen Long“, als Hong­kon­ger Mafiosi pro-demokratische Pro­tes­tie­rende in einer U-Bahn-Station tät­lich angrif­fen. Selbst als Ho selbst ange­grif­fen wurde, filmte sie wei­ter. Sie ist in Hong­kong als „Stand News Sis­ter“ bekannt, da sie für die mitt­ler­weile auf­ge­löste oppo­si­tio­nelle Online-Zeitung Stand New gear­bei­tet hatte. Zuvor war sie unter ande­rem für das chi­ne­si­sche Pro­gramm der BBC tätig.

Bei den Wah­len zum Legis­la­tiv­rat wollte Ho antre­ten und betei­ligte sich an den inof­fi­zi­el­len Vor­wah­len, die sie im Bezirk New Ter­ri­to­ries East für sich ent­schied. Noch bevor die Wah­len selbst mit Ver­weis auf die COVID-19-Pandemie ver­scho­ben wur­den, dis­qua­li­fi­zierte die Hong­kon­ger Wahl­be­hörde Ho. Neben dem oben erwähn­ten Ver­fah­ren wurde sie auch für die Betei­li­gung an einer ver­bo­te­nen Mahn­wa­che für das Mas­sa­ker von Tia­na­men zu sechs Mona­ten Haft verurteilt.

Benny Tai (geb. 1964 in Hong­kong) Jurist, jahr­zehn­te­lang Demo­kra­tie­ak­ti­vist in sei­ner Heimatstadt.

Benny Tai Yiu-ting

Im glei­chen Ver­fah­ren die inof­fi­zi­el­len Vor­wah­len betref­fend ist auch der Jurist Benny Tai Yiu-ting ange­klagt. Er gilt als Initia­tor der Vor­wah­len. Bereits 2013 grün­dete er die Initia­tive Occupy Cen­tral with Love and Peace, die für gewalt­freien zivi­len Unge­hor­sam warb, um sich für die im Hong­kon­ger Grund­ge­setz ver­spro­chene Demo­kra­ti­sie­rung der loka­len Wah­len ein­zu­set­zen. In unzäh­li­gen basis­de­mo­kra­ti­schen Work­shops dis­ku­tierte er poli­ti­sche Ziele, aber auch Prak­ti­ken zivi­len Unge­hor­sams. Dass die Hong­kon­ger Pro­teste über die Jahre hin­weg betrach­tet recht fried­lich blie­ben, dürfte zu einem nicht uner­heb­li­chen Maße sein Ver­dienst sein. In vie­len sei­ner Reden bezieht sich der 58-jährige Tai auf Mar­tin Luther King.

Tai wurde mehr­fach für sei­nen zivi­len Unge­hor­sam fest­ge­nom­men und ver­ur­teilt und im Juli 2020 von sei­nem lang­jäh­ri­gen Arbeit­ge­ber, der Hong Kong Uni­ver­sity, mit Ver­weis auf seine „kri­mi­nel­len“ Taten ent­las­sen. Doch seine Ent­las­sung war auch in den Füh­rungs­gre­mien der Uni­ver­si­tät umstritten.

Eddie Chu Hoi-dick

Eddie Chu Hoi-dich (geb. 1977 in Hong­kong) — u.a. war er auch Grün­der der “Land Justice Lea­gue”, die sich für Natur­schutz und Umwelt einsetzt.

Ein wei­te­rer Ange­klag­ter im glei­chen Ver­fah­ren ist Eddie Chu Hoi-dick. Der 46-Jährige erlangte lokale Pro­mi­nenz, als er sich für die Erhal­tung von Gebäu­den aus Hong­kongs kolo­nia­ler Ver­gan­gen­heit ein­setzte, dar­un­ter der Edin­burgh Place Ferry Pier und der Queen’s Pier. Chu lag eine Ver­herr­li­chung der kolo­nia­len Ver­gan­gen­heit stets fern. Ihm ging es darum, dass sich Hong­kong sei­ner eige­nen Stadt­ge­schichte und –iden­ti­tät mit all ihren Brü­chen bewusst­wer­den sollte. Hong­kong, so seine Über­zeu­gung, ist durch ihre mehr als ein­hun­dert­jäh­rige Geschichte als bri­ti­sche Kron­ko­lo­nie keine nor­male chi­ne­si­sche Stadt.

Diese Hal­tung war Peking ein Dorn im Auge, denn sie bemühte sich um eine Inte­gra­tion Hong­kongs in China und wollte einer eige­nen loka­len Iden­ti­tät ent­ge­gen­wir­ken. In Hong­kong genoss Chu hin­ge­gen gro­ßes Anse­hen. So wurde er 2016 mit den meis­ten Stim­men aller Kan­di­da­ten der Stadt in den Legis­la­tiv­rat gewählt. Zuvor hatte Chu als Jour­na­list gear­bei­tet. Da er im Iran aus­ge­bil­det wurde, berich­tete er auch viel über die Ent­wick­lun­gen in Teheran.

Dar­über hin­aus wurde Chu zum bekann­tes­ten Gesicht der Hong­kon­ger Umwelt­be­we­gung. So war er maß­geb­lich an den Pro­tes­ten gegen den Guangzhou-Shenzhen-Hong Kong Express Rail Link betei­ligt und begrün­dete dies nicht zuletzt mit der Zer­stö­rung von Natur und Dör­fern in Hong­kongs Peripherie.

Lorie Lai Man-ling

Aus Soli­da­ri­tät mit Lorie Lai Man-ling hal­ten sich einige Gewerk­schaf­ter Schafs­mas­ken vors Gesicht – in der Nähe des Gerichts­ge­bäu­des, um die Lächer­lich­keit des Ver­fah­rens gegen die Cartoon-Zeichnerin zu demonstrieren.

Die Sprachthe­ra­peu­tin Lorie Lai Man-ling ist eine von fünf Inhaf­tier­ten, die Cartoon-Hefte ver­öf­fent­lich­ten. Die Car­toons stel­len poli­ti­sche Bezüge zu den Pro­tes­ten gegen das Aus­lie­fe­rungs­ge­setz sowie einen Streik des medi­zi­ni­schen Per­so­nals wäh­rend der COVID-19-Pandemie in Hong­kong her. So zei­gen die Car­toons Schafe, die vor Wöl­fen beschützt wer­den müs­sen. Die drei Bücher mit den Titeln „Die Wäch­ter des Schaf­dorfs“, „Die 12 Hel­den des Schaf­dorfs“ und „Die Müll­samm­ler des Schafs­dorfs“ wer­fen den Hong­kon­ger Behör­den vor, auf­rüh­re­ri­sche Absich­ten zu ver­brei­ten. So wür­den die Bücher die Abnei­gung der Kin­der gegen fest­land­chi­ne­si­sche Behör­den, sym­bo­lisch als Wölfe dar­ge­stellt, schü­ren. Lai wurde, wie alle Mit­an­ge­klag­ten, zu 19 Mona­ten Haft verurteilt.

Der Radio­mo­de­ra­tor Edmund Wan Yiu-sing

Edmund Wan Yiu-sing

Edmund Wan Yiu-sing ist in Hong­kong durch seine Radio­auf­tritte als DJ Giggs bekannt. Im Februar 2020 ent­schloss er sich, Geld für Hong­kon­ger Aktivist*innen zu sam­meln, die nun aus Furcht vor dem „Natio­na­len Sicher­heits­ge­setz“ im Exil in Tai­wan leben. Dar­auf­hin wurde er wegen Bei­hilfe zur Sezes­sion, Volks­ver­het­zung und wegen des Ver­dachts auf Geld­wä­sche ange­klagt. Er wurde mitt­ler­weile zu zwei Jah­ren und acht Mona­ten Gefäng­nis­strafe verurteilt.

Erst Hong­kong, dann Taiwan?

All diese Bei­spiele zei­gen, wel­che Aus­wir­kun­gen die Ein­füh­rung des „Natio­na­len Sicher­heits­ge­set­zes“ auf das Leben der Men­schen in Hong­kong hat. Doch die Fol­gen gehen weit über Hong­kong hin­aus. Das Prin­zip „Ein Land, zwei Sys­teme“ war einst vom dama­li­gen star­ken Mann Chi­nas, Deng Xia­o­ping, nicht für Hong­kong, son­dern für Tai­wan ent­wi­ckelt wor­den. Seine Idee war: Indem man der Bevöl­ke­rung auf Tai­wan weit­ge­hende Auto­no­mie in Aus­sicht stellte, hoffte Deng zu einem spä­te­ren Zeit­punkt auf eine fried­li­che Ver­ei­ni­gung von Tai­wan und Festland-China.

Die­ses Ver­spre­chen, das in Tai­wan stets auf Skep­sis stieß, wirkt ange­sichts der Ent­wick­lun­gen in Hong­kong heute unglaub­wür­di­ger denn je. Chi­nas Umgang mit Hong­kong ist daher mehr als nur dra­ma­tisch für die Stadt und seine Zivil­ge­sell­schaft: Er macht auch einen Krieg um Tai­wan wahr­schein­li­cher, da die Zustim­mung Tai­wans zu einer fried­li­chen Ver­ei­ni­gung kaum denk­bar erscheint. Peking wie­derum scheint mehr denn je auf eine Ver­ei­ni­gung zu drängen.

Und so arbei­tet man in der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei Chi­nas bereits an neuen Kon­zep­ten, die das Dik­tum von „Ein Land, zwei Sys­teme“ ablö­sen könnte, um Tai­wan eine fried­li­che Ver­ei­ni­gung doch noch schmack­haft zu machen.

Doch Xia Bao­longs Aus­sa­gen in Hong­kong las­sen sol­che Bemü­hun­gen als leere Rhe­to­rik erschei­nen. Die frei­heits­lie­ben­den Taiwaner*innen, dürf­ten den Wert ihrer Demo­kra­tie längst auch daran bemes­sen, ob sie abwei­chende Mei­nun­gen äußern kön­nen. Das Schick­sal von Hong­kong gilt vie­len in Tai­wan als ein abschre­cken­des Horrorszenario.

 

 

 

Blick auf Hongkongs Skyline.
Blick auf Hong­kongs Skyline.

 

 Das „Arbeitsbüro Hongkong und Macau“ ist eine Verwaltungsbehörde des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas und des Staatsrates der Volksrepublik China.
Das „Arbeits­büro Hong­kong und Macau“ ist eine Ver­wal­tungs­be­hörde des Zen­tral­ko­mi­tees der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei Chi­nas und des Staats­ra­tes der Volks­re­pu­blik China.

 

Demonstranten vor dem Legislativrat am 1. Juli 2019 - während drinnen von ihren Freunden das Transparent aufgestell wird: "Es gibt keinen Mob, aber eine Tyrannei."
Demons­tran­ten vor dem Legis­la­tiv­rat am 1. Juli 2019 — wäh­rend drin­nen von ihren Freun­den das Trans­pa­rent auf­ge­stell wird: “Es gibt kei­nen Mob, aber eine Tyrannei.”

Der Protestmarsch am 16. Juni 2019 - hier nur ein kleiner Ausschnitt der insgesamt zwei Millionen Demonstrant*innen.
Der Pro­test­marsch am 16. Juni 2019 — hier nur ein klei­ner Aus­schnitt der ins­ge­samt zwei Mil­lio­nen Demonstrant*innen.

Auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking fanden von Mitte April 1989 große Protestversammlungen statt. Am 3. und 4. Juni löste die chinesische Regierung  die Versammlung mit Gewalt auf.
Auf dem Platz des Himm­li­schen Frie­dens in Peking fan­den ab Mitte April 1989 große Pro­test­ver­samm­lun­gen statt. Am 3. und 4. Juni löste die chi­ne­si­sche Regie­rung die Ver­samm­lung mit Gewalt auf.

"Democracy is good - no violoence" Die Hongkonger Demokratiebewegung  mit ihrem Symbol, dem gelben Regenschirm.
“Demo­cracy is good — no vio­lo­ence” Die Hong­kon­ger Demo­kra­tie­be­we­gung mit ihrem Sym­bol, dem gel­ben Regenschirm.

Joshua Wong and Nathan Law vor dem Hongkonger Gerichtsgebäude 2015.
Jos­hua Wong and Nathan Law vor dem Hong­kon­ger Gerichts­ge­bäude 2015.

Demonstration am 1. Juli 2020, dem ersten Tag der Gültigkeit des neuen "Nationalen Sicherheitsgesetzes." Fünf Finger stehen für die fünf Forderungen während der Proteste gegen das Auslieferungsgesetz: Aufgabe des Auslieferungsgesetzes, Freilassung der politisch Inhaftierten, Einsetzung einer unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung der Polizeigewalt, demokratische Neuwahlen und das Ende der Verunglimpfung der Proteste. Der sechste Finger ergänzt symbolisch die Forderung nach Rückzug des "Nationalen Sicherheitsgesetzes".
Demons­tra­tion am 1. Juli 2020, dem ers­ten Tag der Gül­tig­keit des neuen “Natio­na­len Sicher­heits­ge­set­zes.” Fünf Fin­ger ste­hen für die fünf For­de­run­gen wäh­rend der Pro­teste gegen das Aus­lie­fe­rungs­ge­setz: Auf­gabe des Aus­lie­fe­rungs­ge­set­zes, Frei­las­sung der poli­tisch Inhaf­tier­ten, Ein­set­zung einer unab­hän­gi­gen Kom­mis­sion zur Auf­ar­bei­tung der Poli­zei­ge­walt, demo­kra­ti­sche Neu­wah­len und das Ende der Ver­un­glimp­fung der Pro­teste. Der sechste Fin­ger ergänzt sym­bo­lisch die For­de­rung nach Rück­zug des “Natio­na­len Sicherheitsgesetzes”.

Die britische Kronkolonie Hongkong wird auf der Grundlage des sino-britischen Völkerrechtsvertrages an die Volksrepublik China übergeben, 1997.
Die bri­ti­sche Kron­ko­lo­nie Hong­kong wird auf der Grund­lage der völ­ker­recht­lich bin­den­den sino-britischen Erklä­rung an die Volks­re­pu­blik China über­ge­ben, 1997.

Polizeieinsatz im Juni  2020
Poli­zei­ein­satz im Juni 2020

Das Emblem Chinas wird am Metropark Hotel Causeway Bay angebracht, Standort des neuen nationalen Sicherheitsbüros in Hongkong.
Das Emblem Chi­nas wird am Metro­park Hotel Cau­se­way Bay ange­bracht, Stand­ort des neuen natio­na­len Sicher­heits­bü­ros in Hongkong.

Festnahme eines Demonstranten am ersten Tag, an dem das "Nationale Sicherheitsgesetz" gültig ist: 1. Juli 2020
Fest­nahme eines Demons­tran­ten am ers­ten Tag, an dem das “Natio­nale Sicher­heits­ge­setz” gül­tig ist: 1. Juli 2020

Joshua Wong (geb. 1996) in Hongkong) war bereits in seiner schulzeit ein führender Aktivist, Bis zur Umsetzung des "Nationalen Sicherheitsgesetzes" war er auch Generalsekretär der Partei "Demosisto" (Stehe für das Volk!). Die US-Zeitschrift "Foreign Ploicy" wählte ihn 2014 zusammen mit Benny Tai zu den "Leading global Thinkers", 2017 wurde er für den Friedensnobelpreis nominiert. Zurzeit ist er wieder einmal in einem der Hongkonger Gefängnisse inhaftiert.
Jos­hua Wong (geb. 1996) in Hong­kong) war bereits in sei­ner Schul­zeit ein füh­ren­der Akti­vist. Bis zur Umset­zung des “Natio­na­len Sicher­heits­ge­set­zes” war er auch Gene­ral­se­kre­tär der Par­tei “Demo­sisto” (Stehe für das Volk!). Die US-Zeitschrift “For­eign Ploicy” wählte ihn 2014 zusam­men mit Benny Tai zu den “Lea­ding glo­bal Thin­kers”, 2017 wurde er für den Frie­dens­no­bel­preis nomi­niert. Zur­zeit ist er wie­der ein­mal in einem der Hong­kon­ger Gefäng­nisse inhaftiert.

Jimmy Lai (1947 in Guangzhou geb.) ist ein britisch-chinesischer Unternehmer und Aktivist, ein wichtiger Unterstützer der Demokratiebewegung in Hongkong.
Jimmy Lai (geb. 1947 in Guang­zhou) ist ein britisch-chinesischer Unter­neh­mer und Akti­vist, ein wich­ti­ger Unter­stüt­zer der Demo­kra­tie­be­we­gung in Hong­kong. Er besaß eine Reihe an Medien, die der Oppo­si­tion nahe­stan­den, dar­un­ter Apple Daily. Auf­grund des “Natio­na­len Sicher­heits­ge­set­zes” muss­ten die Medi­en­häu­ser schließen.

 

Gwyyneth Ho Kwai-Iam: Als Journalistin hatte sie über die Protestbewegungen in Hongkong berichtet, wurde schließlich selbst zur Aktivistin und ist nun zu Gefängnisstrafe verurteilt.
Gwy­yneth Ho Kwai-Iam: Als Jour­na­lis­tin hatte sie über die Pro­test­be­we­gun­gen in Hong­kong berich­tet, wurde schließ­lich selbst zur Akti­vis­tin und ist nun zu Gefäng­nis­strafe verurteilt.

 

Benny Tai, der pro-demokratische Aktivist und Juraprofessor, ist hier auf dem Weg zum Gericht, März 2021. Ein jahr später wird er  auf der grundlage des "Nationalen Sicherheitsgesetzes" zu 10 Monaten Haft auf Bewährung (?) verurteilt wegen ...
Benny Tai, der pro-demokratische Akti­vist und Jura­pro­fes­sor, ist hier auf dem Weg zum Gericht, März 2021.

Eddie Chu Hoi-dick spricht hier bei einer Demonstration in der Hongkoger Lung Wo Road am 17.  Juni 2019.
Eddie Chu Hoi-dick spricht hier bei einer Demons­tra­tion in der Hong­ko­ger Lung Wo Road am 17. Juni 2019.

 

Frauenabteilung des Hongkonger Victoria Gefängnisses.
Frau­en­ab­tei­lung des Hong­kon­ger Vic­to­ria Gefängnisses.

 

Cartoon-Hefte. gemalt von Lorie Lai Man-ling.
Cartoon-Hefte. gemalt von Lorie Lai Man-ling.

 

Eddi Wan Yiu-sing wird abgeführt. Am 7. Oktober 2022 wurde er zu zwei Jahren und acht Monaten verurteilt.
Edmund Wan Yiu-sing wird abge­führt. Am 7. Okto­ber 2022 wurde er zu zwei Jah­ren und acht Mona­ten verurteilt.

 

Wie das "Nationale Sicherheitsgesewtz" Hongkong verändert. Einen Beitrag des "Weltspiegel! sehen Sie hier.
Wie das “Natio­nale Sicher­heits­ge­sewtz” Hong­kong ver­än­dert. Einen Bei­trag des “Welt­spie­gel” vom 30. Mai 2021 sehen Sie hier.