Tom Koenigs: Intoleranz verschiedenen Religionen gegenüber ist heute ein Grund, warum viele Menschen aus ihrer Heimat fliehen. Auch in Europa war die Religionsfreiheit ein Recht, das erst nach und nach schwer erkämpft werden musste. Im 30-jährigen Krieg (1618–1648) ging es um die Religionsfreiheit; er endete schließlich mit einem Schritt in die richtige Richtung, nämlich dem Prinzip des „Cuius regio eius religio“. Dies beinhaltete zunächst zumindest die Möglichkeit, in unterschiedlichen Regionen verschiedene Religionen auszuüben. Nach und nach wurde dies dann ausgeweitet.
Und heute heißt es in Artikel 18 der UN-Menschenrechtserklärung:
„Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens– und Religionsfreiheit; dieses Recht schließt die Freiheit ein, seine Religion oder seine Weltanschauung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen.“
Natürlich ist dies weltweit keine Realität, aber die Erklärung setzt für alle einen wichtigen Maßstab, an dem die Regierungen zu messen sind.

Nun zu Ihrem Beispiel der Beschneidung: Diese gibt es sowohl bei Männern wie auch bei Frauen.
Die Genitalbeschneidung bei Mädchen verstößt gegen das Recht auf Gesundheit, auf die Unverletzlichkeit des Körpers und zudem (!) gegen das Diskriminierungsverbot. Es ist ein Eingriff in den Körper und damit auch in die Würde der Mädchen. Verbunden ist dies mit einer Ideologie, die nicht mit den Menschenrechten konform geht. Die UN-Menschenrechtserklärung verbietet bereits in ihrer Präambel die Diskriminierung von Frauen:
“Da die Völker der Vereinten Nationen in der Charta ihren Glauben an die grundlegenden Menschenrechte, an die Würde und den Wert der menschlichen Person und an die Gleichberechtigung von Mann und Frau erneut bekräftigt und beschlossen haben…verkündet die Generalversammlung diese Allgemeine Erklärung der Menschenrechte…”
Im Hinblick auf die Genitalverstümmelung der jungen Mädchen sind wir uns hier im Saal gewiss schnell einig — sowohl unter denen, die hier geboren sind und das Problem eigentlich gar nicht kennen, aber gleichermaßen vermutlich auch unter denen, die hierher geflohen sind – vielleicht sogar gerade wegen solcher Gründe.
Zur männlichen Genitalbeschneidung hatten wir gerade letztes Jahr eine lebhafte Debatte im Deutschen Bundestag. Auch diese Beschneidung ist ein Eingriff in den Körper. Wir haben ausführlich diskutiert, eben gerade weil hier zwei Menschenrechte nebeneinander stehen: das Recht auf die Unverletzlichkeit des Körpers und zugleich bei Juden und Moslems die religiöse Pflicht, die Jungen zu beschneiden. Die Debatte war so zugespitzt, dass damals von Vertretern moslemischer und jüdischer Gemeinden gesagt wurde: “Ihr könnt uns ja gleich sagen, dass ihr uns hier nicht haben wollt. Dann können wir ja gehen…”

Der Deutsche Bundestag hat schließlich einen Kompromiss gefunden: Er hat sich eindeutig hinter die Frauen gestellt, die von der Genitalbeschneidung bedroht oder ihr bereits unterworfen worden sind und hat auf der anderen Seite den religiösen Gruppen erlaubt, die Beschneidung des männlichen Gliedes medizinisch korrekt durchzuführen.
Dies ist ein schwieriger Diskussionsprozess, der auch mir damals viele wütende Zuschriften gebracht hat. Dazu gab es damals auch in der Gesellschaft eine lebhafte Debatte.
Ich denke, man muss sich jedes Mal erneut darum bemühen, möglichst präzise zu erkennen, wo jeweils diskriminiert. Mit der Genitalbeschneidung der Frauen soll ihre sexuelle Entfaltung verhindert werden; diese ist aber gerade in den entsprechenden Gesellschaften für Männer selbstverständlich. Damit wird der diskriminierende Charakter dieser Form von Beschneidung klar.