
Tom Koenigs: Dieses kleine Heftchen hier, das wir Euch abschließend schenken wollen, heißt „Empört Euch“. Geschrieben ist dies im Jahr 2010 von Stéphane Hessel. — Hessel war damals schon 93 Jahre alt. 1946 gehörte er zu denjenigen, die an der Erklärung der Internationalen Menschenrechte mitgearbeitet haben. Voller Energie und Überzeugungskraft titelt dieser Mann noch im hohen Alter: “Empört Euch!”
Und ich bin sicher. Es wird auch bei Euch etwas geben, bei dem Ihr heute sagt: So kann es eigentlich nicht bleiben, da muss sich etwas ändern. — Egal, wo dieser Punkt ist. Mischt Euch ein!
Für viele meiner Generation war es dieser Moment der offenen Gewalttätigkeit, der uns letztlich stark politisierte und dann aber durchaus auch manche politische Fehlentwicklungen bei uns zur Folge hatte….

Max: Das heißt es gab auch Momente, an denen Sie daran zweifelten?
Tom Koenigs: Ja klar. Das gibt es immer. Natürlich habe ich auch unglaublich viele Irrtümer begangen. Neulich hat ein Praktikant, der bei mir arbeitete, den ersten Leitartikel der damals von uns gegründeten Zeitung „Klassenkampf“ herausgesucht. Er hat mir meinen eigenen Text von damals vorgelesen. „Grausig“, kann ich da nur sagen!
Innerhalb der Linken gab es eine gewisse Blindheit gegenüber stalinistischen Tendenzen. Manche sind in ausgesprochen autoritäre linke Organisationen gegangen; das ist mir glücklicherweise dank einiger Freunde erspart geblieben. Aber Fehler haben wir dennoch en masse gemacht; auch später als Grüne. Wir hatten Toleranz gegenüber Pädophilen — die Haltung, die uns heute völlig unverständlich ist und die auch falsch war. Genauso machen wir natürlich auch heute Fehler — z.B. im Hinblick auf Afghanistan: Wir haben den Militäreinsatz von Anfang an unterstützt. War das vielleicht auch ein Fehler? Denn man muss sich stets auch die Frage stellen: Was haben wir durch unsere Entscheidung, durch unser Handeln nicht erreicht?
Max: Ich möchte nochmals direkt auf Ihre Biographie zurückkommen. Beeindruckt hat mich, dass Sie Ihr gesamtes Erbe damals dem Vietkong gespendet haben. Für Ihre Familie war dies gewiss eine harte Provokation. Mit welcher gesellschaftspolitischen Vision haben Sie das damals getan?
Tom Koenigs: Damals war ich in etwa so alt wie Sie heute – 20/21 Jahre. Ich hatte von meinem Vater, der im Krieg gefallen ist, ein großes Vermögen geerbt. Aber was macht man mit so einem großen Vermögen?
Ich war sehr selbstbewusst. Ich wollte eigentlich nur von dem eigenen Geld leben, das ich verdient hatte. Ich wollte auch so sein wie alle anderen. Die anderen hatten in der Regel nichts. Wir waren Studenten damals. Wieso sollte ich da der reiche Sack sein? – Und Vietnam war mir damals das wichtigste Ziel! Da bin ich ganz einfach zur Botschaft gegangen und habe gesagt: Ich mache eine Spende und habe ihnen das Geld übergeben. — Das habe ich nie bereut. Auch wenn heute manche zu mir sagen: Hast du da nicht eigentlich eine kriegerische Partei unterstützt? – Mag sein. Aber ich habe es deshalb nie bereut, weil ich von diesem Tage an immer stolz sein kann, dass ich das Geld, das ich ausgebe, auch selbst verdient habe. Das ist einfach ein gutes Gefühl. Heute aber würde ich das Geld vielleicht an UNICEF, spenden.

Seit über drei Jahren leiden Mädchen und Jungen in Syrien unter dem Bürgerkrieg. Sie erleben, wie Bomben ihr Zuhause und ihre Schulen zerstören. Sie werden obdachlos, häufig schwer verletzt und verlieren Familienmitglieder und Freunde.
