Tom Koenigs: Ich glaube, an keinem Punkt des Syrienkonfliktes hat es die Möglichkeit gegeben, eine sinnvolle militärische Intervention zu organisieren. Am ehesten vielleicht noch ganz am Anfang…
Die Frage also ist:Was kann man machen? Wie kann man in Syrien derzeit die universellen Menschenrechte verteidigen?
Es gibt z.B. entsprechende Organisationen, die dort tätig sind und mit Flüchtlingen arbeiten: das Internationale Rote Kreuz bzw. der Rote Halbmond, auch verschiedene Organisationen der Vereinten Nationen (Flüchtlingsorganisationen) …
Grundsätzlich aber glaube ich auch hier, dass es richtig und wichtig ist, alle in die Verhandlungen mit einzubeziehen, die dort mit Krieg führen — und dazu gehören inzwischen sehr viele: Bezüglich des Iran wissen wir es: Es stehen mit Milizen auf Seiten von Assad. Aus dem Libanon kommen Hizbollah-Milizen. Von Saudi-Arabien wissen wir, dass sie die Kämpfenden unterstützen. Von Qatar wissen wir, dass sie in Syrien die radikalsten Fundamentalisten unterstützen einschließlich al Qaida. Die Türkei ist inzwischen manifest gegen Assad. Die Nachbarstaaten Jordanien und Libanon versuchen sich neutral zu verhalten; sie haben unglaublich viele Flüchtlinge aufgenommen. Diese Größenordnungen sind so immens, dass wir uns dies hier noch nicht einmal vorstellen können. Eine große Mitschuld am jetzigen Zustand hat aber auch Russland. Das muss man sehr deutlich sagen. Da war vermutlich unser Druck zu schwach. Russland hat dort eine Militärbasis, hat dort geostrategische Interessen, und unterstützt Assad mit allen Mitteln einschließlich Waffen.
Ich glaube, dass die Konferenz von Genf (sog. “Genf II”), die inzwischen auch die Russen einbezogen hat, eine Chance bekommen muss.
Doch nochmals zurück zu Ihrer ganz konkreten und sehr wichtigen Frage: “Was kann man eigentlich selbst tun in solch einer Situation? Wie kann man sich verhalten?” Als dieser Konflikt anfing, haben mich Mitglieder meiner Partei, Syrer, angesprochen und gesagt: “Da muss man doch was machen!”
Ich habe sie gefragt: “Könnt ihr zum Menschenrechtsausschuss kommen? — aber mit Vertretern von den verschiedenen Ethnien und aus den verschiedenen Religionen!”
Wir haben sie alle angehört. — Auch für die Syrer war es teilweise das erste Mal, dass sie überhaupt miteinander geredet haben. Wir müssen die Position haben, dass wir mit allen reden — den unterschiedlichen Ethnien, den unterschiedlichen Religionen und Vertretern von unterschiedlichen politischen Positionen.
Aber das Gefühl von Hilflosigkeit, das sowohl in Ihrer Frage als auch in meiner Antwort steckt, ist ganz offensichtlich ist; das beschleicht auch mich immer wieder.
Samuel: Nach dem Chemiewaffeneinsatz in Syrien stellte sich drängend die Frage, ob man intervenieren soll oder nicht. Und das beinhaltet ja zugleich die Frage nach der Legitimität eines Staates: Wann darf man eingreifen?
Auf der Grundlage internationaler Vereinbarungen sollen jetzt keine weiteren Chemiewaffen mehr eingesetzt werden. Waren diese Gespräche nun ein diplomatischer Erfolg ist – auch wenn das zunächst viele gar nicht so gesehen haben. Oder muss man zunächst aufs Ganze schauen, erst einmal abwarten, wie sich alles weiter entwickelt? Sie haben schon die weiteren Verhandlungen angesprochen. Einige Oppositionelle lehnen es inzwischen ab, überhaupt noch mit Assad zu diskutieren, sich mit ihm an einen gemeinsamen Tisch zu setzen. Wie kann man sie wieder mit ins Boot zu holen?
Tom Koenigs: Zunächst erst einmal muss gesagt werden, dass dies sehr schwierig ist, weil der Kampf darauf abgezielt hat und weiterhin darauf zielt, Assad abzusetzen.
Es sind aber nicht nur die oppositionellen Gruppen, die die Position vertreten: Wir verhandeln nicht, wenn Assads Leute mit am Tisch sind; er selber wird ja ohnehin nicht mitfahren. Lange Zeit hat die USA verhindert, dass Teheran mitfahren kann. Jetzt hat es hier eine Öffnung im hinblick auf Teheran gegeben. Dadurch kann dieser Verhandlungsprozess etwas konstruktiver werden. Es hat zudem Verhandlungen mit China gegeben. Vielleicht engagieren sie sich nun auch etwas stärker in der internationalen Verantwortung und verstecken sich im Sicherheitsrat mit ihrem Veto nicht mehr nur hinter Russland. Damit will ich sagen, es gibt gewisse kleine Tendenzen…
Aber gleichzeitig ist das Ergebnis, das sich jetzt in Syrien abzeichnet, unbefriedigend — nämlich, dass das Land aufgespalten wird in Interessens– oder auch vier bis fünf regionale Zusammenhänge – das will keiner. Zudem ist dies verbunden mit einer starken – auch terroristischen — Bestimmung einzelner dort kämpfender Verbände. Das kann keiner wollen.
Hier ist es ungeheuer wichtig, Teheran in die weltpolitischen Entscheidungen mit einzubeziehen; China davon zu überzeugen, dass es nicht nur wirtschaftlich, sondern auch friedenspolitisch ein wichtiger Player sind, ist ebenso wichtig. Und mit Russland so umzugehen, dass sie eher eine integrative als eine separative oder isolierende Rolle spielen, das darf man auch nicht aus dem Auge verlieren.
Wir sollten Druck auf Russland ausüben und sagen: Ihr müsst hier konstruktiv sein. Die Russen haben seit vielen Jahren/Jahrzehnten eine Militärbasis in Syrien; es ist deren letzte Militärbasis am Mittelmeer. Wenn – was alle behaupten – wir das geopolitische Gleichgewicht dort nicht ausschließen wollen, dann müsste jede zukünftige Regierung von Syrien sagen, ja, daran rühren wir nicht. Das ist aber bisher noch gar nicht auf der Tagesordnung. Und ob wir das den Widerstandskräften dort zumuten können, das wissen wir auch noch nicht. Doch dies wird sicher eine Bedingung sein, damit Russland sich konstruktiv verhält…
Oft wird mir auch die Frage nach dem Sicherheitsrat gestellt bzw. festgestellt, er funktioniere nicht. Die Vereinten Nationen sind 193 Nationen und damit ist die UNO so gut wie die Nationen, die sie bilden. Es ist mehr möglich. Vorhin habe ich darauf hingewiesen, dass China sich nicht besonders engagiert; das ist für eine so große Macht falsch. Aber auch Deutschland engagiert sich nicht so in den Vereinten Nationen, wie es diese Organisation mit ihren wertvollen Prinzipien eigentlich verdient.
Ich habe in New York mal den jetzigen Generalsekretärs der UNO getroffen und damals zu ihm gesagt: “Ich als Grüner möchte eigentlich, dass die Vereinten Nationen viel stärker sind und dass wir in Deutschland ein vorbildliches Mitglied entsprechend unserer wirtschaftlichen Stärke werden.” - “Aber Deutschland macht doch viel,” hat Ban Ki Moon damals geantwortet. - “Ich meine das anders. Norwegen ist ein ungemein aktives und auch kreatives Mitglied der Vereinten Nationen und Deutschland ist 15 mal größer. Also möchte ich auch, dass wir 15 mal aktiver und kreativer sind als Norwegen…”