"Die allermeisten Sinti und Roma haben eine Wohnung und auch Arbeit..."
“Die aller­meis­ten Sinti und Roma haben eine Woh­nung und auch Arbeit…”

Die Sinti und Roma, die in unsere Gesell­schaft wirk­lich inte­griert sind, sich meist nicht als sol­che zu erken­nen. Sie haben oft genug die Erfah­rung machen müs­sen, dass dann ihre Stel­lung ernst­haft gefähr­det ist. Wir müs­sen also zu uns sagen: Da haben wir (!) etwas nicht verarbeitet!

Wenn man bei die­sen Pla­ka­ten statt „Sinti und Roma“ „Juden“ geschrie­ben hätte, dann wären alle empört gewe­sen: „Um Got­tes Wil­len! Das kann doch nicht sein.“ D. h. es stellt sich für uns die Frage: Warum ist es uns weit­ge­hend gelun­gen, den Anti­se­mi­tis­mus zurück­zu­drän­gen bis auf einige rechts­ra­di­kale Grup­pen und den Anti­zi­ga­nis­mus nicht?

Dafür gibt es viele Gründe. Zum Bei­spiel gibt es an unse­ren Hoch­schu­len kaum einen Pro­fes­sor, der sich über­haupt mit die­sem Thema befasst. Die Spra­che „Roma­nes“ zu ler­nen, ist in unse­ren Bil­dungs­ein­rich­tun­gen völ­lig unmög­lich… So etwas kann doch nicht sein! Mit den Sor­ben befas­sen wir uns doch auch. Warum nicht mit Sinti und Roma???

Als im Okto­ber 2012 in Ber­lin das Holo­caust­mahn­mal für die 500.000 wäh­rend der NS-Zeit ermor­dete Sinti und Roma ein­ge­weiht wurde, beschrie­ben Romani Rose, Vor­sit­zen­der des Zen­tral­ra­tes deut­scher Sinti und Roma, und Zoni Weisz, Über­le­ben­der des Holo­caust, den gro­ßen Anti­zi­ga­nis­mus, den es noch immer in unse­rer Gesell­schaft gibt.

Dass Sinti und Roma in den Lehr­in­hal­ten der staat­li­chen Bil­dungs­sys­teme in euro­päi­schen Län­dern nicht vor­kom­men, ist ein deut­li­cher Aus­druck von Aus­gren­zung und Dis­kri­mi­nie­rung. Daran muss man drin­gend arbeiten!

In letz­ter Zeit gibt es in Deutsch­land zudem eine Debatte über die sog. „Armuts­wan­de­rung“ aus Bul­ga­rien und Rumä­nien. Was damit gemeint ist, ist klar: Roma oder “Zigeu­ner”, d.h.  „Die wol­len wir nicht! - Doch da muss ich sehr ernst­haft fra­gen: Was heißt für uns eigent­lich „euro­päi­sche Gemein­schaft“? — Wir haben einen gemein­sa­men Waren­ver­kehr; und jeder kann frei rei­sen und sich inner­halb der EU bewegen.

Sozia­ler Miss­brauch, der bei den Roma oft unter­stellt wird, gibt es übri­gens bei Deut­schen auch. Und wenn dem so ist, dann müs­sen Gesetze gegen die­sen Miss­brauch gemacht wer­den, aber nicht gegen Roma!

Wich­tig ist, dass wir uns mit der Dis­kri­mi­nie­rung aktiv aus­ein­an­der­set­zen. Und da ist gerade auch die kom­mu­nale Ebene wich­tig. Hierzu gibt inzwi­schen einige gute neuere Ansätze —  z.B. die Har­zer Straße in Berlin-Neukölln. Doch in die­sem Sinne muss noch weit mehr gesche­hen. Gerade die­je­ni­gen, die sich für die Uni­ver­sa­li­tät der Men­schen­rechte ein­set­zen, müs­sen sich hier engagieren.

Mar­cel: Bevor ich zur nächs­ten Frage komme, möchte ich hier kurz noch anmer­ken, dass nur 10% der Roma kri­mi­nell sind.

Tom Koe­nigs: Genau. – Und das ist der glei­che Pro­zent­satz wie bei der übri­gen Bevöl­ke­rung auch.

Marcel (Mitte):
Mar­cel (Mitte):

 

Mar­cel: Nun zu unse­rer nächs­ten Frage: Im Okto­ber berich­te­ten die Medien, dass die grie­chi­sche Poli­zei ein klei­nes Mäd­chen namens Maria aus einer „Roma­bande“ befreit habe. „Kri­mi­na­li­tät“ und „Roma“ wur­den in vie­len fol­gen­den Bericht­er­stat­tung fast schon gleich­ge­setzt. Bei uns gibt es die Presse– und Mei­nungs­frei­heit — ein hohes Gut, das in unse­rem  Grund­ge­setz (Arti­kel 5) ver­an­kert ist. Gleich­zei­tig haben wir den sog. „Pres­se­ko­dex. In Zif­fer 1 wird dort die Wahr­haf­tig­keit der Pres­se­be­richt­er­stat­tung zum obers­ten Gebot erklärt. Zif­fer 8 besagt, dass in der Pres­se­be­richt­er­stat­tung keine reli­giö­sen oder eth­ni­schen Min­der­hei­ten dis­kri­mi­nie­ren wer­den dür­fen. Wur­den diese Grund­sätze im Fall des klei­nen Mäd­chens Maria denn gewahrt?

Flo­rian: Zudem hat Deutsch­land 1998 das euro­päi­sche Rah­men­über­ein­kom­men zum Schutz natio­na­ler Min­der­hei­ten rati­fi­ziert. Ver­letzt Deutsch­land im Falle die­ser Medi­en­be­richt­er­stat­tung denn nicht auch die­ses Abkom­men? Die Min­der­heit der Sinti und Roma wird aus mei­ner Sicht in Deutsch­land kei­nes­wegs geschützt – im Gegen­teil: sie wer­den diskriminiert!

Tom Koe­nigs: Da bin ich ganz Ihrer Mei­nung. Ich denke, man kann vom Staat ver­lan­gen, dass er die Men­schen­rechte sei­ner Bür­ger schützt — auch der Armen und auch der Migran­ten. Inner­halb der EU müs­sen alle prin­zi­pi­ell gleich­be­han­delt wer­den.
Wir haben mei­nes Erach­tens auch an einem ande­ren Punkt diese Regeln ver­letzt. Die Min­der­heit der Roma ist eine Min­der­heit, die nicht pro­blem­los ist. Auch nicht pro­blem­los inte­grier­bar — viel­leicht ähn­lich schwie­rig zu inte­grie­ren wie Migran­ten aus Kasachs­tan. D.h. die­sen Men­schen müs­sen wir uns aktiv wid­men.
Es hat von der euro­päi­schen Gemein­schaft (Kom­mis­sion) an alle Staa­ten die Auf­for­de­rung gege­ben, eine Stra­te­gie zur gesell­schaft­li­chen Inte­gra­tion der Roma zu ent­wi­ckeln. So etwas muss man machen. Ich habe die letzte Bun­des­re­gie­rung danach gefragt und es mir wurde geant­wor­tet: Das ist nicht not­wen­dig. Unsere Gesetze decken das bereits ab. Aber das tun sie offen­sicht­lich nicht! Man muss eine Stra­te­gie gegen den Anti­zi­ga­nis­mus ent­wi­ckeln. Ich glaube, dass wir das Thema Roma-Feindlichkeit oder Anti­zi­ga­nis­mus genauso durch­de­kli­nie­ren müs­sen wie wir das Thema Anti­se­mi­tis­mus durch­de­kli­niert haben — und zwar an den Schu­len, mit den NGOs und vor allem auch: mit den Sinti und Roma zusammen.

Alle Bei­spiele, die erfolg­reich waren, zei­gen: Teil­habe ist wich­tig und die gemein­same Arbeit von Ange­hö­ri­gen der Min­der­heit und der Mehr­heits­ge­sell­schaft. Das wird einen gewis­sen Auf­wand kos­ten. Aber wenn wir Immi­gran­ten aus Rumä­nien haben, dann müs­sen wir uns darum küm­mern dass wir ihnen an den Schu­len Deutsch bei­brin­gen. Da brau­chen wir Leute, die Rumä­nisch oder Bul­ga­risch spre­chen. Die Roma spre­chen ja neben ihrer eige­nen Spra­che (Roma­nes) meist noch die Spra­che des Lan­des, in dem sie auf­ge­wach­sen sind. Natür­lich beinhal­ten Bil­dungs– und Inte­gra­ti­ons­pro­gramme Zeit und einen ernst­haf­ten Auf­wand, aber die EU hat dafür in der Tat rela­tiv viel Geld zur Ver­fü­gung gestellt. Das wird oft nicht abge­ru­fen, weil die Kom­mu­nen stets auch einen eige­nen finan­zi­el­len Bei­trag dazu leis­ten müs­sen. Und für ärmere Kom­mu­nen wie z.B. Duis­burg ist dies der­zeit oft schwie­rig. Daran aber müs­sen wir arbei­ten.
Anmer­ken möchte ich hierzu aber auch: Die ame­ri­ka­ni­sche Bür­ger­rechts­be­we­gung ist im Grunde erst erfolg­reich gewor­den, als sie – um dies mal ganz flap­sig zu for­mu­lie­ren – unver­schämt gewor­den sind und for­dernd. Rosa Parks hat sich im Bus hin­ge­setzt, obwohl diese Plätze nur für Weiße waren. Diese „ord­nungs­wid­rige“ Hand­lung war letzt­lich der Aus­gangs­punkt für die ame­ri­ka­ni­sche Bür­ger­rechts­be­we­gung.
So ver­hal­ten sich die Sinti und Roma der­zeit nicht. Das wird aber hof­fent­lich kom­men. Und das ist gut und wich­tig, damit sich etwas bewegt.

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